Unsere älteste Tochter Mara war 2018/19 für ein Auslandsjahr in den USA, eine Erfahrung, die sie nachhaltig prägte. Als sie zurückkam, wollte sie gerne selbst jemanden bei uns aufnehmen. Doch mein Mann und unsere jüngere Tochter Kira waren noch zu überzeugen.
Ohne ihre Gastfamilie in den USA hätte Mara niemals diese wertvollen Erfahrungen gemacht, daher war es ihr ein Anliegen, etwas zurückzugeben. Im Urlaub entschieden wir uns gemeinsam dazu, auch selbst Gastfamilie zu werden.
Wir sind eine lebendige, emotionale Familie, die viel lacht und gerne Musik hört. Nach den Erfahrungen mit unseren vorherigen Gastschülern wünschten wir uns dieses Mal eine Europäerin, die etwas älter ist und gut zu unserer Familie passen würde.
Gemeinsame Interessen haben überzeugt
Als wir Carlottas Steckbrief per Post erhielten, bemerkte Mara viele Ähnlichkeiten mit unserer Familie, insbesondere mit Kira, da beide Fußball- und Formel-1-Fans sind.
Wir haben vorab mit Carlotta und auch ihrer Familie geskypt und telefoniert. Wir konnten Carlotta sogar vorher für einen Tag während unseres Familienurlaubs am Gardasee kennen lernen – somit hatten wir gute Voraussetzungen. Dadurch verlief unsere erste Begegnung in Deutschland äußerst herzlich, und Carlotta erwies sich von Anfang an als sehr offen. Es war ein toller Moment!
Wir haben dennoch festgestellt, dass aller Anfang schwer ist. Carlotta lebte ziemlich in den Tag hinein und brauchte einige Zeit, um sich in Deutschland zu festigen. Es hat aus meiner Sicht eine ganze Weile gedauert, bis sie sich traute, aktiv zu werden. Das passierte dann zunächst mit anderen YFU-Schülern, wie einer Spanierin, die sie bei ihrer Ankunft kennen gelernt hatte, bis sie auch an der Schule Freunde fand.
Eifersucht war nie ein Thema
Große Sorgen vorher hatten wir keine. Vor allem waren wir gespannt, ob unsere beiden Mädels sich mit Carlotta verstehen würden - und das taten sie. Eifersucht war nie ein Thema. Vor allem Kira und Carlotta konnten sich über alles unterhalten, da sie viele gemeinsame Interessen hatten.
Je länger sie da war, desto inniger wurde die Freundschaft. Kira und Carlotta gingen auf die gleiche Schule. Sie haben sich zwar in der Schule wenig gesehen, da Kira sich aufs Abitur vorbereitete, aber es war trotzdem gut zu wissen, dass Carlotta in Kira eine Ansprechperson in der Schule hatte. Carlotta hat über das Jahr einen tollen Freundeskreis in ihrer Stufe gefunden, der auch über ihr Austauschjahr hinaus Bestand hat, da ihre Freunde sie bereits in Italien besucht haben und Carlotta uns und ihre Freunde in Deutschland ebenfalls mehrmals besucht hat.
Bitte kein “Animationsprogramm”
Am Anfang dauerte es eine Weile, bis wir einen gemeinsamen Alltag fanden. Carlotta antwortete zunächst immer mit "Alles gut", wenn man sie fragte, wie es ihr gehe. Ich bot ihr anfangs eine Art "Animationsprogramm" an, musste aber lernen, dass sie selbst die Initiative ergreifen musste, was sie dann auch tat. Sie traf sich mit Freunden, spielte Handball und fand ihren eigenen Weg.
Obwohl Carlotta bereits in Italien Deutsch gelernt hatte, traute sie sich anfangs nicht wirklich zu sprechen, da es etwas anders war als das Deutsch aus dem Unterricht. Nach ihrem Jahr in Deutschland spricht sie nun ausgezeichnet Deutsch.
Besonders schöne gemeinsame Erlebnisse
Besonders schön waren unsere gemeinsamen Reisen: Carlotta, Kira und ich verbrachten die Herbstferien zusammen in Amsterdam, die Osterferien als Familie in der Türkei und das Highlight war Kiras Abiball. Auch das Finale der Champions League der Frauen in Eindhoven war ein besonderer Moment: Barcelona spielte gegen Wolfsburg – und gewann! Da beide Mädels Barca-Fans sind, war dies natürlich ein gutes Ergebnis.
Carlotta wurde hier richtig selbstständig, ging mit Freunden zu Ausstellungen, nutzte öffentliche Verkehrsmittel für Verabredungen und wurde Teil unserer Familie. An ihrem 18. Geburtstag feierten wir mit einer großen Party, zu der ihre Freunde aus Deutschland und Italien sowie ihre Familie aus Italien kamen.
Der Abschied war dann sehr emotional: Wir vier mit unserem Hund Lucy haben Carlotta nach Frankfurt an den Flughafen gebracht und haben uns dort von einem Familienmitglied verabschiedet.
“Sie ist ein Teil unserer Familie”
Um eine großartige Zeit als Gastfamilie zu haben, muss die Chemie in der Familie stimmen. Die ganze Familie muss bereit sein, es auszuprobieren, und wirklich offen dafür sein.
Man sollte sich nicht verstellen und alles auf sich zukommen lassen, ohne groß zu planen. Natürlich muss man sich kümmern und Rücksicht nehmen, aber am Ende wird der Gastschüler ein Teil der Familie und sollte auch so behandelt werden. Vor allem sollte man nicht versuchen, die eigenen Kinder zu verändern und sie dazu zu drängen, den Austauschschüler überallhin mitzunehmen. Die Gastschüler werden ihre eigenen Freundeskreise finden, und das ist nicht möglich, wenn sie immer mit ihren Gastgeschwistern zusammen sind.
Carlotta war bis Juli bei uns und kam im August bereits zum ersten Mal zu Besuch, was nur mein Mann wusste - den Rest der Familie und ihre Freunde überraschte sie. Seitdem war sie im Dezember noch einmal bei uns, und wenn sie in Italien schulisch nicht so eingespannt wäre, würde sie auch öfter kommen.
Kira und Carlotta planen ihr nächstes Treffen in Italien. Carlotta überlegt, in Deutschland zu studieren, dann könnte sie bei uns wohnen, und wir würden sie dabei unterstützen.
Sie ist ein Teil unserer Familie. Meine Töchter halten regelmäßig Kontakt mit ihr, und ich auch. So hatten wir es uns immer gewünscht: dass wir auch nach dem Austauschjahr weiterhin voneinander hören – und das ist auch so.