Unsere beiden Söhne sind Mitte 20 und schon vor einigen Jahren ausgezogen. Jahrelang hatten wir sie und ihre Freunde um uns, wir hatten auch schon einen Austauschschüler aus Brasilien und junge Männer aus Nicaragua für ein paar Monate zu Gast. Alles kein Problem, alles gute Jungs, aber manchmal fühlte ich mich als Mutter mit meinen Interessen an den Rand gedrängt. Wie schön, dass mit Irem auf einmal ein Mädchen da war! Gekicher, ihr Stricken beibringen, ein neues Kleid, das auch ohne Hinweis bemerkt wird, süße Kinderfotos anschauen, Hunde-TopTen,… Ich wusste gar nicht, wie schön das sein kann. Und ich wusste auch nicht, was für ein gutmütiger und weicher
Papa mein Mann sein kann, wenn ihn eine Tochter mit Zuneigung und Charme um den Finger wickelt!
Man lernt immer wieder dazu
Natürlich dachten wir, wir sind tolerant, weltoffen, gut informiert und vorurteilsfrei. Doch wir mussten feststellen, dass unser Bild von der Türkei, geprägt einerseits von aktuellen kritischen Medienberichten, andererseits von Erfahrungen mit hier lebenden türkischstämmigen Mitmenschen, einseitig ist. Jetzt scheint es uns, als gäbe es noch eine ganz andere Türkei, nämlich die, in der Irems Familie und Freundeskreis lebt, eine Türkei, die sich viel weniger von unserer Lebenswelt unterscheidet. Ja, auch dort wird Schweinefleisch gegessen, es gibt viele Blonde, und von Irems Schule in Ankara könnte sich das deutsche Bildungssystem eine Scheibe abschneiden.
Es kommt frischer Schwung ins Leben
So viele Museums- und Theaterbesuche, Ausflüge, Stadtbesichtigungen und kulturelle Unternehmungen haben wir schon lange nicht mehr gemacht wie in dem Jahr mit Irem. Wir wollten ihr ja viel von Deutschland und dem, was uns gefällt und was wir sehenswert finden, zeigen. Und dabei haben wir unsere Umgebung auch wieder neu kennengelernt. Hätten wir
bestimmt nicht ohne sie!
Mut lohnt sich
Wir hatten viele Zweifel vor dem Austauschjahr: Sind wir nicht langweilig für Irem, ohne Gastgeschwister? Zu alt? Haben wir genug Zeit für sie? Wird es eine große Umstellung, jetzt, wo wir endlich mal ohne Kinder sind? Und der Urlaub? Und wenn wir uns doch nicht sympathisch sind und sie nach ein paar Monaten nervt?
Nichts davon hat sich als Problem herausgestellt. Sie kam, stellte ihre Sachen ins Regal und gehörte ab da ganz selbstverständlich zu unserer Familie. Wir sind noch jetzt begeistert von diesem freundlichen, klugen, interessierten, guterzogenen, zielstrebigen und liebenswerten Mädchen, mit dem wir ein Jahr so viel Glück gehabt haben. Es hätte auch anders kommen können, aber für uns war es nur gut.