Wir sind eher durch Zufall auf das Thema Gastschülerin gestoßen, als bei uns an der Schule eine Ersatzfamilie für eine andere YFU-Schülerin gesucht wurde. Zeitgleich war meine große Tochter Sophie schon für vier Monate in Irland, so dass wir auch schon mit dem Gefühl vertraut waren, froh zu sein, eine gute Gastfamilie für unsere Tochter zu haben.
Wir wurden dann zwar nicht die Gastfamilie für das betreffende Mädchen, aber der Stein war ins Rollen gebracht und wir wollten uns dann für den nächsten Termin als reguläre Gastfamilie anbieten. Erstmal allerdings nur für sechs Monate, da wir noch etwas ängstlich waren, wie wir den Alltag dann mit einer weiteren und vor allem fremden Person im Haushalt bewältigen würden. Sozusagen als Testballon.
Eine heiße Tasse Kakao und ein persönliches Gespräch
Sorgen hatten wir eigentlich keine. Natürlich ist es immer ein merkwürdiges Gefühl, mit einer „fremden” Person im Haushalt zu leben. Man denkt, man könne sich nicht mehr so wie immer verhalten. Irgendwie ist das auch so – und doch wieder nicht.
Die ersten Wochen sind noch so ein bisschen wie Ferien für das Gastkind. Man beschnuppert sich und ist natürlich auch noch viel toleranter in den vorhandenen Abläufen (teilweise auch, was die Sprache betrifft...). Aber man stellt schnell fest, ob die Chemie stimmt, und dann entwickelt sich ein neuer Ablauf.
Als Familie hat man natürlich seine "Regeln" oder Gewohnheiten. Allerdings konnten wir feststellen, dass wir hier schnell zu einem gemeinsamen Einverständnis gekommen sind. Die Regeln wurden akzeptiert und manchmal haben wir uns als Familie auch angepasst. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, wenn man seinen gewohnten Alltag reflektiert und gegebenenfalls anpasst.
Eine Sorge war höchstens die Frage mit dem Heimweh... aber dank der technischen Möglichkeiten, und hin und wieder einem Anruf zu Hause bei der Familie, konnte auch dieser Punkt schnell abgehakt werden. Manchmal hilft dann auch eine schöne heiße Tasse Kakao und ein persönliches Gespräch.
Freudiges Hallo und tränenreicher Abschied
Durch die Videogespräche und auch die Kommunikation im Vorfeld gab es eigentlich nichts Ungewöhnliches beim ersten Kennenlernen. Es gab ein freudiges "Hallo" am Bahnhof, als würde man sich schon lange kennen.
Der Abschied war erwartungsgemäß tränenreich. Da haben wir auch zum ersten Mal wahrgenommen, dass der sechsmonatige Aufenthalt doch nicht so lang ist, wie man anfangs denkt. Wir hatten eigentlich noch so viele Punkte auf unserem Zettel, für die dann am Ende gar keine Zeit mehr da war. Ich habe am Ende meine "3. Tochter" zum Flughafen gebracht und schweren Herzens Heim fliegen lassen.
Gemeinsam Lösungen für Probleme finden
Die größte Herausforderung als Familie ist sicherlich, in den ersten Tagen und Wochen mit dem neuen Familienmitglied zusammen zu kommen – das erste "Abtasten", wo jeder steht und welche Rolle jeder ausfüllt. Ich persönlich habe immer versucht die "Schwingungen" wahrzunehmen, wie die Situation gerade tatsächlich ist. Denn ich glaube, in der Regel sagt jedes Gastkind auf die Nachfrage, ob alles ok ist, immer erst ja.
Tatsächlich sind es aber viele Eindrücke, die sie zu verarbeiten haben, über die sie (noch) nicht reden wollen oder auch schlicht (sprachlich) nicht können. Dann sind sie im schlimmsten Fall häufig mit sich selbst alleine. Ich finde es gut, wenn die Jugendlichen sich dann auch über ihre Mitstreiter und sozialen Gruppen austauschen können. Dann hat sich oft gezeigt, dass das eigene gefühlte Problem gar nicht so einzigartig und unlösbar war. Dann konnten wir auch über die Themen sprechen und gemeinsam Lösungen finden.
Ein anderer Aspekt ist natürlich auch der Alltag in der eigenen Familie. Da kommt es auch mal vor, dass man sich streitet oder Auseinandersetzungen hat. Das möchte man vor anderen Personen ja eigentlich vermeiden, ist aber leider nicht immer möglich. Aber auch hierbei lernt man, damit umzugehen, und das habe ich als besonders positiv mitgenommen.
Mit dem TGV “mal eben” nach Paris
Zum Abschied von Coco habe ich ihr ein Fotoalbum gemacht. Da sind die meisten Aktivitäten und Ereignisse drin, die wir in diesen sechs Monaten gemeinsam erlebt haben. Und es waren viele tolle Sachen, die wir gemacht haben. Es hat einfach sehr viel Spaß gemacht, ihr die Schönheiten und Besonderheiten unseres Landes und auch der Sprache zu zeigen. Daher haben wir viele gemeinsame Ausflüge gemacht, uns ausgetauscht und Erinnerungen produziert. Coco konnte im Weinberg beim Winzern mithelfen und Trauben pflücken, wir waren in verschiedenen Museen oder die Mädchen waren einfach nur gemeinsam unterwegs.
Ein besonderes Highlight war sicherlich, als wir mit dem TGV "mal eben" von Stuttgart nach Paris gefahren sind. Unser Foto der Amerikanerin in Paris ist auf jeden Fall eine wunderschöne Erinnerung. Und natürlich werden wir unser erstes "Thanksgiving-Dinner" in Erinnerung behalten. Das gemeinsame Kochen und die schöne Atmosphäre, die wir an diesem Tag erleben durften, waren besonders.
Das wollen wir unbedingt noch einmal erleben!
Wir haben als Gastfamilie mitgenommen, dass wir das unbedingt noch einmal erleben wollen, und daher haben wir aktuell eine japanische Austauschschülerin. Dieses Mal für das ganze Jahr!
Die Zeit mit einem Austauschschüler kann sehr wertvoll für die ganze "Bestandsfamilie" sein. Sicherlich ändert man ein wenig sein eigenes Verhalten, passt sich an, reflektiert und weiß auch die eigenen Regeln und das gemeinsame Zusammenleben anders zu schätzen. Es ist, als wenn man die Welt zu sich nach Hause holt.
Mit unserer Coco aus dem schönen Michigan war es sicherlich nicht ganz so exotisch wie jetzt, mit unserer Iroha aus Japan. Die westlichen Werte und Ansichten ähneln sich sehr, so dass wir zum Beispiel in Bezug auf Essen keine Probleme hatten. Mit einem Jugendlichen aus dem asiatischen oder südamerikanischen Raum ist es da dann teilweise etwas anders. Anders – aber auch spannend.
Der Austausch mit dem Gastkind erweitert uns auch als Gastfamilie den Blickwinkel. Wir pflegen immer noch Kontakt zu Coco und zu ihrer Familie und haben uns unheimlich gefreut, dass meine Tochter Sophie Coco in den Sommerferien dann auch besuchen konnte.
Wir hoffen, dass die Kontakte zu unseren Gastkindern und deren Familien auch in Zukunft Bestand haben und freuen uns, dass wir auf diese Weise auch über unser Gastkind hinaus so tolle Menschen kennen gelernt haben.
Fingerspitzengefühl und Dankbarkeit
Ich werde immer gefragt, wie machst du das nur. Ein weiteres Kind im Haus, eine fremde Person... Es ist sicherlich Arbeit und auch Aufwand – das sollte man nicht verschweigen. Und teilweise entstehen auch Kosten. Wie weit man sich diese Arbeit machen möchte, liegt aber ganz bei einem selber, und an den eigenen persönlichen Umständen.
Wir empfinden unsere Gastkinder als Bereicherung und auch als Horizonterweiterung. Man muss allerdings auch bereit sein, sich selbst zu reflektieren, und manchmal mit viel Fingerspitzengefühl miteinander kommunizieren. Am Ende wird man aber mit einem großen Erfahrungsschatz und auch großer Dankbarkeit belohnt.
Meine jüngere Tochter möchte auch bald ein Auslandsjahr in Japan machen und wir würden uns glücklich schätzen, wenn sie in ein herzliches Zuhause kommt. Genau das versuchen wir auch unseren Gastkindern mitzugeben.