Heute, am 25. Juni 2023, haben wir ein chinesisches Gericht gekocht (Gulufleisch). Das hat uns Han seinerzeit gekocht. Die Erinnerung an unsere liebe Gasttochter hat uns dazu inspiriert, über das Jahr mit ihr zu berichten. Wir hatten eine E-Mail über die Elternvertreter der Domschule Schleswig bekommen, wo noch dringend Gasteltern für eine kleine Anzahl von Schülerinnen und Schülern gesucht wurde. So entstand der Kontakt zu YFU. Unsere Tochter Catharina durfte wählen, aus welchem Teil der Welt jemand zu uns kommen sollte. Da sie mit der asiatischen Kultur schon ein wenig vertraut war, entschieden wir uns für ein chinesisches Mädchen. Ja, ein Mädchen aus China, obwohl auf dieses Land wegen der ganzen Pandemie so rumgehackt wurde. Wir wollten damit auch ein wenig zur Völkerverständigung und Völkerfreundschaft beitragen.
Kurzentschlossen haben wir uns angemeldet und nach einer kurzen Zeit sind wir von einer ehrenamtlichen Betreuerin von YFU besucht worden. Wir haben zusammen gesprochen, Hedwig hat sich unser Haus und unsere Familie angeschaut. Nach einigen Tagen bekamen wir das GO. Die Entscheidung für Han fiel uns nicht schwer, das Profil hat gepasst. Han wartete schon so lange, um nach Deutschland kommen zu können, aber Corona hat ihr und ihrer Familie einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Aufregung, aber keine Sorgen
Wir waren wahnsinnig aufgeregt, aber Sorgen, dass etwas nicht klappt, haben wir uns nicht gemacht. In einer YFU-Broschüre haben wir vorab einen Bericht gelesen und uns daraufhin einen Reiskocher für günstige 40 € angeschafft, das war Gold wert! Kurze Zeit später haben wir die E-Mail Adresse von Han bekommen und sofort Kontakt aufgenommen. Wir haben uns vorgestellt, Bilder zugesandt und einen regelmäßigen Kontakt aufgebaut. Es ist aus unserer Sicht sehr, sehr wichtig, sofort den Kontakt zu suchen und nicht abzuwarten, bis das Gastkind vor der Tür steht. So hat man sich bereits ein wenig kennengelernt und beiden Seiten ein wenig die Nervosität genommen. Auch mit den Eltern hatten wir vorab einen regen E-Mail- Kontakt. Das fanden wir sehr gut.
Der Start ins Austauschjahr
Leider ist Han erst ein paar Wochen später nach dem Schuljahresbeginn zu uns gekommen, da noch einige bürokratische Hürden zu nehmen waren. Nachdem dann alles geklärt war, hat Ralf Han im September 2021 vom Flughafen in Hamburg abgeholt. Er hat ein kleines schüchternes und natürlich erschöpftes Kind übernommen. Während der Fahrt zu ihrem neuen Zuhause haben sie sich ein wenig auf Englisch unterhalten.
Han hat sich sehr schnell in die Familie integriert, verstand sich mit unserer Tochter sehr gut und auch mit unseren Hunden Luna und Pepsi. Es gab von Anfang an immer sehr viel zu lachen und wir hatten jeden Tag Spaß. Via WeChat haben wir dann auch mit den Eltern telefoniert, WhatsApp gibt es in China nicht.
Auch wenn uns YFU immer wieder gesagt hat, dass es Probleme geben kann, hatten wir zu keiner Zeit Probleme mit Han und sie auch nicht mit uns. Wir haben immer alles mit ihr besprochen, auch das Thema Wäsche gemeinsam waschen, hat Han sehr gut aufgenommen. Sie war absolut anpassungsfähig, hatte aber durchaus auch ihre eigene Meinung, die sie vertrat. Es gab natürlich auch Regeln und Aufgaben im Haushalt. Aber das war alles überhaupt kein Problem.
Neues entdecken
Wir haben mit Han die chinesischen Feste gefeiert, wie z. B. das Mondfest. Das traditionelle Gebäck dazu war allerdings mehr als gewöhnungsbedürftig. Auch das chinesische Neujahrsfest war mit auf dem Programm. Han hat uns einige chinesische Gerichte zubereitet, hat versucht, uns das Essen mit Stäbchen beizubringen (bei uns Eltern ohne Erfolg, Catharina kann es super). Wir haben Han im Gegenzug das Essen in Deutschland nähergebracht. Was soll man sagen: Es hat ihr sehr gut geschmeckt und sie hat nach kurzer Zeit fünf Kilo zugenommen. Wir haben Plätzchen gebacken, Pizza selbst gemacht, Schnitzel gebraten, die Weihnachtsente und Klöße und Rotkohl gemacht, ständig Pfannkuchen gebacken und und und. Bei örtlichen asiatischen Restaurants in Schleswig waren wir auch oft. Han sagte dann, es duftet wie bei ihr zu Hause. Von dort hatte sie natürlich auch einige chinesische Spezialitäten mitgebracht. Bis auf wenige Ausnahmen war es wirklich sehr lecker und teilweise auch sehr scharf.
Familienzeit
Wir haben Han überall mitgenommen und alles das gemacht, was wir auch sonst im Jahresverlauf in unserer Familie so machen. Corona stand uns nicht im Weg. Wir fuhren zur Familie nach Sachsen, zu unseren Freunden nach Odense, in den Urlaub nach Dänemark und in den Center Park Nordseeküste. Han war mehr als begeistert, hat sich bei uns sehr wohl gefühlt. Es wurde ein sehr großes Weihnachtsfest mit Weihnachtsmann gefeiert, Han war happy und es war so, als ob wir sie schon immer kennen würden. Der Weihnachtsmarkt war der erste in ihrem Leben, ebenso hat Han zum ersten Mal Ostereier gesucht. Wir nahmen gemeinsam an einem Flohmarkt teil, sie war Mitglied im Basketballverein und sie liebte es, mit uns Gesellschaftsspiele zu spielen.
Überall lernte sie Deutsch. Man braucht keinen extra Deutschkurs, man muss einfach nur wie immer weiter ganz normal sein Leben leben, nur eben mit einem Gast. Han war jedoch sehr schnell kein richtiger Gast mehr, sondern unsere zweite Tochter, die eben als große Schwester auch Ansprechpartnerin für unsere Tochter Catharina gewesen ist. Sie lachten zusammen, trieben zusammen Sport, waren auch mal nicht einer Meinung, spielten zusammen Computerspiele und und und – eben alles ganz normal.
An unserem Campingplatz an der Ostsee haben wir ihr sogar Sandspielzeug gekauft. Han hatte zuvor noch nie weißen Sand gesehen. Sie liebte die Ostsee und mochte den Wind. Das Klima hier gefiel Han sehr gut. Nach und nach hat sie dann immer mehr Deutsch gesprochen, natürlich durch die Schule und durch meine Frau Katja. Catharina und ich haben meist Englisch gesprochen. Es war toll, Catharina lernte ein perfektes Englisch und zum Schluss konnte Han perfekt Deutsch in Wort und Schrift. Die anderen aus ihrer Klasse hat Han in Deutsch teilweise in die Tasche gesteckt, so die Lehrerin. Es war ein buntes Durcheinander von Deutsch, Englisch und Chinesisch. Teilweise kam dann auch noch Dänisch dazu, weil wir auch mit unseren dänischen Freunden sehr viel Kontakt hatten.
Neue Freundinnen
Es fand auch ein gemeinsames YFU-Treffen aller Gastkinder, teilweise mit den Gasteltern und deren Kindern statt. Dort trafen unsere „beiden“ Kinder auf Saori aus Japan. Es entstand ein loser und freundschaftlicher Kontakt. Erst wurde Saori besucht und auch dort übernachtet, Saori kam zu uns und die Mädchen haben dann mit meiner Frau auf unserem Campingplatz übernachtet. Unsere Tochter hat heute auch immer noch Kontakt zu Saori, in Japan gibt es zum Glück WhatsApp.
Catharinas Freundinnen waren dann auch Hans Freundinnen. Mit den gleichaltrigen aus ihrer Klasse hatte sie nicht ganz so viel Kontakt, da hatte Corona alles in Grüppchen aufgeteilt und sie wurde in ihrer Klasse zwar gut aufgenommen, aber in der Freizeit kaum integriert. Das war etwas schade, hat aber Hans Freude bei uns zu sein nicht getrübt.
Wir fanden es bemerkenswert, dass Han sich in der dörflichen Umgebung bei uns mit ca. 1.000 Einwohnern wohl gefühlt hat. Sie selbst kommt aus einer Großstadt mit 16.500.000 Einwohnern! Han hat immer gesagt, dass diese Zeit bei uns wie Ferien ist, sie musste nicht in ihre „Boardingschool“, genoss ihr eigenes Zimmer, und dass sie jeden Tag zu Hause schlafen konnte. Sie war fleißig in der Schule, ihre Noten (ja, sie hat ein Notenzeugnis bekommen) waren prima. Ihre Eltern haben niemals Druck gemacht, dass sie zusätzlich für die Schule in China lernen sollte, ihnen war es wichtig, dass Han das deutsche Leben kennenlernt und die „tiefe Verbundenheit zwischen China und Deutschland“…so der Vater Zhen, mit ihrem Besuch in Deutschland festigt. Schließlich haben die Eltern selbst ein paar Jahre in Deutschland studiert.
Wir denken, dass wir genau das mit Han gemeinsam erreicht haben. Wir alle haben die Zeit sehr genossen. Als Abschiedsgeschenk haben wir uns dann für ein umfangreiches Fotobuch entschieden, mit allen Erinnerungen. Natürlich haben wir gleich zwei bestellt, denn es war ja auch unser Austauschjahr. In Empfang genommen haben wir Han (16) als kleines schüchternes Mädchen, gegangen ist Han (17) als junge selbstbewusste Frau, die nun ein Teil unserer Familie ist.
Tränenreicher Abschied
Am Tag des Abschieds sind dann einige Tränen bei Han geflossen, wollte sie doch zum einen hier bei uns bleiben, aber natürlich auch zurück zu ihrer Familie und Freunden. Die Wochen vor der Abreise waren nicht leicht, lange wussten wir nicht, wann und ob Han überhaupt zurück nach China konnte. China hatte die Corona- Einreisregeln massiv verschärft, die Eltern mussten zusätzliche Kosten übernehmen. Han musste außerdem in ein Quarantänehotel… so viel Stress zum Schluss, aber wir haben das alles gemeistert und haben dieses tolle Mädchen ihren Eltern gesund und glücklich wieder übergeben.
Han hat viele Andenken und Geschenke in Deutschland und Dänemark gekauft, sodass dann ein großer Teil ihrer Kleidung bei uns geblieben ist. Diese Kleidung trägt nun unsere Tochter. Es freut uns, wenn wir Catharina in Hans Kleidung sehen…wir haben sie gefühlt immer noch bei uns. Es ist eine Freundschaft fürs Leben entstanden. Wir schreiben uns immer noch regelmäßig über WeChat, haben auch Kontakt zu den Eltern und haben Han zu ihrem Geburtstag angerufen. Sie wird uns 2024 in den Ferien besuchen, evtl. kommt ihre Mutter mit. Es war ein so außerordentliches Jahr mit Han, es wird uns immer in Erinnerung und in unserem Herzen bleiben. Han ist zu unserer zweiten Tochter geworden.