Unsere älteste Tochter Louise wollte 2020/2021 mit YFU nach China gehen. Das ging leider wegen Corona nicht. Die Alternative war, dass wir eine Austauschschülerin aus China, Yian, aufnehmen, aber im ersten Anlauf 2020 kam auch hier Corona dazwischen. Im Sommer 2021 hat es dann endlich geklappt: Yian konnte anreisen, um ein Schuljahr bei uns zu leben. Louise hat sich kurzfristig dazu entschieden, mit YFU nach Paraguay zu gehen, so dass die beiden Mädchen sich quasi verpasst haben und sich nur am Ende des Austauschjahres kennenlernten und jede ihre eigenen Auslandserfahrungen machen konnte. So oder so waren wir froh, dass Yian bei uns war und unsere jüngere Tochter Anna hat sich über eine neue „große Schwester“ gefreut.
Bereits vor dem Austauschjahr hatten wir viel Kontakt mit Yian, so dass wir vorab keine großen Sorgen hatten. Wir hatten nur Befürchtungen, dass Yian einen Kulturschock in Deutschland haben würde.
Wir mussten uns erst einmal gegenseitig kennenlernen
Die erste Begegnung mit Yian war sehr schön. Wir haben sie vom Frankfurter Flughafen abgeholt und waren alle mächtig aufgeregt. Weil Yian während der Woche angekommen ist, mussten wir nach der Ankunft arbeiten und hatten nicht viel Zeit. Statt nach der langen Reise zu schlafen hat Yian sich direkt nach der Ankunft in ihr Zimmer an den Schreibtisch gesetzt und Deutsch gelernt. Sie war sehr fleißig und das hatte sicher auch damit zu tun, dass sie anfangs unsicher war, was wir als Gastfamilie von ihr erwarten würden. Wir hatten diese Erwartungshaltung nicht an sie, aber wir mussten uns ja erst einmal gegenseitig kennenlernen und dieses Missverständnis aus der Welt schaffen.
Yian konnte bereits recht gut Deutsch als sie bei uns ankam, denn sie hatte in China mit einem Privatlehrer Deutsch gelernt. Wir haben ungefähr zwei Monate Deutsch und Englisch mit ihr gesprochen, aber spätestens ab Weihnachten war es dann nur noch Deutsch. Sie wollte oft wissen, warum etwas in der deutschen Grammatik so ist wie es ist und da mussten wir das eine oder andere Mal selbst drüber nachdenken und es nachschlagen, denn wenn Deutsch die Muttersprache ist, dann nimmt man die Sprache ja einfach so hin, ohne drüber nachzudenken.
Zum Glück hatten wir keine Probleme mit Yian und konnten über alles reden. Schwierig war für sie selbst allerdings der Blick von Deutschland aus nach China. Sie war von Anfang an recht liberal eingestellt und hier in Deutschland hat sie natürlich ihr Heimatland in den Nachrichten aus einer neuen Perspektive kennengelernt, was sie sehr betroffen gemacht hat. Da mussten wir Yian einige Male emotional auffangen und gleichzeitig reflektiert mit unserem eigenen Blick auf China umgehen. Außerdem war es für Yian anfangs schwierig Freundinnen zu finden, denn sie wurde in der Schule in einen Jahrgang eingestuft, in dem die Schüler drei Jahre jünger als sie selbst sind. Wir haben gemeinsam geschaut, dass sie an einem Volkshochschulkurs teilnimmt, in dem sie Gleichaltrige treffen und kennenlernen konnte. So hat es dann geklappt, dass Yian Bekannte gefunden hat.
Ein echtes Highlight für die ganze Familie
Besonders schön und intensiv war die Vorweihnachts- und Weihnachtszeit mit Yian. Wenn die eigenen Kinder älter sind, hört man ja irgendwann auf, Weihnachten so richtig intensiv zu zelebrieren, aber mit Yian haben wir wieder Plätzchen gebacken, sind auf Weihnachtsmärkte gegangen und haben zusammen den Weihnachtsbaum geschmückt.
Sie wollte gerne etwas „ganz, ganz typisch deutsches“ machen und so hat sie im Winter mit Unterstützung von Oma und einer Bekannten ihre erste eigene Mütze gestrickt, die sie dann auch stolz getragen hat. Auch der Weihnachtsbaum mit den Geschenken drunter, war plötzlich wieder etwas ganz Besonderes. Eigentlich waren alle Ausflüge und Reisen, die wir ohne Austauschschülerin so nicht gemacht hätten, sehr besonders. Wir haben beispielsweise mal eine Alpaka-Wanderung gemacht, das war ein echtes Highlight für die ganze Familie.
„Oh, wir haben neue Pflanzen“
Insgesamt sind wir als Familie in allen Belangen viel offener geworden und haben mit Yian ein neues Familienmitglied dazu gewonnen. Im Frühling 2023 hat Yian uns mit einer Freundin aus dem College besucht. Als sie ins Wohnzimmer kam sagte sie „Oh, wir haben neue Pflanzen“. Das war lustig und hat gezeigt, dass sie sich auch jetzt noch als Teil unserer Familie fühlt.
Wir würden zukünftigen Gastfamilien raten, dass sie sich vorab nicht zu viele Gedanken machen, das Austauschjahr auf sich zukommen lassen und keine Erwartungshaltung an das neue Familienmitglied haben. Außerdem ist es schön, die YFU-Treffen mit anderen Gastfamilien wahrzunehmen und auch mit dem Betreuer von YFU in Kontakt zu bleiben.