Bei uns war es schon der zweite Austausch, bei diesem Mal allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen: mit Haus, Hund und Kind. Da uns das Reisen nicht mehr in dem Umfang möglich ist, wie wir es früher getan haben, haben wir entschlossen, uns einfach eine andere Kultur zu uns nach Hause zu holen und den spannenden Austausch, den wir sonst in anderen Ländern erlebt haben, einfach in den eigenen vier Wänden zu erleben.
Sorgen hatten wir vorab einige: Wird sich die Austauschschülerin in unserer Familie zurechtfinden? Klappt das Zusammenleben trotz des geringen Altersunterschieds - wir waren 27 und 29 Jahre und unsere Austauschschülerin Cami, mit ihren 17 Jahren, nur knappe zehn Jahre jünger. Wird sie sich mit unserem zwei-jährigen Sohn verstehen? Schaffen wir das in der jetzigen Schwangerschaft? Was ist, wenn das Kind früher kommt und Cami noch bei uns ist? Wird es Sprachbarrieren geben? Tatsächlich hat sich nichts davon bestätigt, unsere Zeit war eine ganz wunderbare.
Unsere erste Begegnung und der Abschied
Unsere erste Begegnung war im Februar 2022 am Kasseler Bahnhof. Es war schon dunkel und es hat wie aus Eimern geregnet, eine ganz komische Stimmung. Als Cami aus dem Zug stieg, lief sie sehr zielstrebig und ganz selbstverständlich auf uns zu; irgendwie war es, als würden wir uns schon kennen. Der Abschied, ein halbes Jahr später, war am Bielefelder Hauptbahnhof, als sie zu dem YFU-Event „YES“ (Youth Empowerment Seminar) nach Berlin aufbrach. Bis dahin war es ein sehr trockener Sommer, aber an ihrem Abreisetag hat es wieder geregnet und mich hat das Wetter sofort an den Februar erinnert. Es war wirklich traurig, Cami gehen lassen zu müssen. Als der Zug losfuhr, standen wir noch lange am Bahnsteig und konnten nicht realisieren, dass sie nun wirklich weg ist. Unser Sohn hat gar nicht verstanden, was mit uns los ist. Zu Hause war es an dem Tag auffallend ruhig und die nächsten Tage eine echte Umgewöhnung.
Herausforderungen
Nun zu unseren Herausforderungen. Diese hatten eher weniger mit Cami selbst zu tun, aber beispielweise die Kommunikation mit der Schule, die ihr das Busticket nicht bezahlen wollte - das gab lange Diskussionen. Weiterhin war es schwierig einen passenden Sprachkurs für Cami zu finden, da sie im Vorfeld fleißig mit ihrer Oma deutsch geübt hat und sie ziemlich sprachbegabt ist, war ihr Level für die allermeisten Sprachkurse zu hoch.
Besondere Momente und Erlebnisse
Rückblickend war das gesamte halbe Jahr aufregend und spannend. Die ersten 2 bis 3 Wochen hat es nur geregnet und wir haben jeden Tag zu Cami gesagt, dass das eigentlich nicht normal ist und es in Deutschland nicht nur regnet. Im Nachhinein war das wirklich lustig, denn so viel Regen war nicht normal und ich hatte echt Sorge, dass ihr das in der neuen Umgebung nicht guttut. Dann kam aber endlich die Sonne und es wurde ein wunderschönes Frühjahr. Für Cami war sicherlich ihre Klassenfahrt ein spannendes Erlebnis. Wir unternahmen aber auch einige Reisen, beispielsweise unser gemeinsamer Urlaub in den Osterferien. Später waren wir noch zusammen in Köln und in Hamburg und haben allgemein viele Ausflüge in der Umgebung gemacht. Cami war an allem sehr interessiert und wir hatten viel Freude dabei, ihr alles zu zeigen. Auf den Rückfahrten haben sie und unser Sohn immer geschlafen, das war sehr lustig, da man die Uhr danach stellen konnte. Zum Ende des Halbjahres hat sie ihren 18. Geburtstag bei uns im Ort gefeiert, das war noch einmal etwas sehr Besonderes für alle. Aber auch an „Kleinigkeiten“ denke ich gerne zurück. Zum Beispiel die Fernsehabende auf der Couch oder Abende an denen wir einfach nur stundenlang über Verschiedenstes geredet und uns ausgetauscht haben. Wie ist ihr Leben in Argentinien, wie nimmt sie jetzt die Unterschiede im Alltag wahr? Mein Mann, der mit ihr zusammen Mate getrunken hat und Cami es eigentlich gar nicht mag... So viele Erinnerungen, die für immer bleiben.
Aus dem halben Jahr nehmen wir und vor allem unser Sohn ganz viel mit. Nicht nur die Erinnerungen, sondern auch eine Freundschaft, die sicherlich für immer bestehen bleibt. Im nächsten Jahr möchte Cami wieder nach Europa kommen und wir werden sie hoffentlich noch einmal sehen und sie dann irgendwann auch in Argentinien besuchen können.
Tipps für zukünftige Gastfamilien
Tipps für zukünftige Gastfamilien wären auf jeden Fall, im Vorfeld nicht zu viel zu erwarten; dann kann man nur enttäuscht werden, wenn es dann doch anders verläuft. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es ganz normale Jugendliche sind, die zu einem nach Hause kommen. Zu der Pubertät kommt dann noch die fremde Kultur, das ist Anfangs sehr anstrengend. Zu Beginn sind sie nach der Schule und der fremden Sprache oft müde und schlafen viel. Das haben wir jetzt zwei Mal so erlebt, daher gehen wir stark davon aus, dass es fast immer so sein wird und ist natürlich völlig verständlich. Camis Deutsch ist wirklich sehr schnell sehr gut geworden, aber das kann natürlich auch anders sein; trotzdem kann man sich, falls das Englisch nicht sehr gut ist, immer irgendwie verständigen. Und gerade das Miteinander Sprechen ist sehr wichtig, denn nur so kann man kleine Missverständnisse direkt aus dem Weg räumen, bevor sie zu Problemen werden. Oft muss man Dinge wiederholen und mehrfach sagen, damit sie auch so umgesetzt werden, wie man sich das wünscht. Deshalb haben wir viele Pläne erstellt. Ihren Stundenplan, unseren Stundenplan mit Arbeitszeiten und die Aktivitäten unseres Sohnes, damit auch Cami weiß, wann wir wo sind. Aber auch einen Haushaltsplan, wo genau steht, wann sie was erledigen soll. So brauchte sie sich nicht alles merken und wusste genau, was wir von ihr erwarten und was nicht. Ich denke das war eine große Hilfe.
Wir hoffen, auch im nächsten Jahr wieder eine Austauschschülerin oder einen Austauschschüler aufnehmen zu können, sobald das Gästezimmer wieder nur Gästezimmer ist und unser Büro einen anderen Platz gefunden hat.