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Tauwetter im Norden

Erfahrungsbericht von Lilly, Austauschjahr in Norwegen

Mein Name ist Lilly. Ich habe die letzten 10,5 Monate in Norwegen gelebt. Erst in Narvik, das liegt in Nordnorwegen und momentan lebe ich noch auf Askøy. Eine halbe Stunde von Bergen, der regenreichsten Großstadt Europas, entfernt. Mein Austauschjahr neigt sich dem Ende zu, die Tage sind gezählt, und trotzdem sitze ich hier und frage mich, wo sind diese 320 Tage geblieben? Sie sind einfach davon geflogen und haben mich nicht einmal gefragt, ob ich das überhaupt will. Meine Sehnsucht nach Norwegen beginnt jetzt schon, obwohl ich noch nicht einmal zurück in Deutschland bin. Vor und während meines Austauschjahres wurde ich eigentlich von jedem, mit dem ich darüber gesprochen habe, gefragt, warum ich mich ausgerechnet für Norwegen entschieden habe. „Also ich hätte mir Amerika oder Australien ausgesucht“ – diesen Satz hörte ich mehr als nur einmal. Meine Antwort darauf war immer wieder: „Ich möchte nicht dorthin, wo 50% aller Austauschschüler ihr Jahr verbringen. Ich möchte ein Jahr in einem Land verbringen, von dem viele noch nicht mal wissen, wo genau es liegt.“ Natürlich stehen da noch viele andere Länder zur Auswahl, aber ich habe mir Norwegen ausgesucht, weil ich das norwegische Schulsystem kennenlernen wollte, weil ich die Menschen kennenlernen wollte, und wissen wollte, ob es stimmt, was über die Norweger gesagt wird, dass sie erst einmal „auftauen“ müssen, wenn man sie kennenlernen möchte. Ob sich das bestätigt hat? Das werde ich euch weiter unten erzählen.

 

Die norwegische Schule

Die Schule in Norwegen ist sehr unterschiedlich im Vergleich zur deutschen Schule. Als Austauschschüler besucht man die „videregående skole“. Diese Schule wird von Schülern im Alter von 16-19 Jahren besucht. Es gibt verschieden Zweige wie zum Beispiel Helse- og oppvekstfag (Gesundheits- und Jugendzweig), elektrofag (Elektronischer Zweig), teknikk og industriell produksjon (Technische und industrielle Produktion) und viele mehr. Die meisten Austauschschüler besuchen aber studiespesialisering. Dieser Zweig ist der von den norwegischen Schülern am häufigsten gewählte Zweig. Hier hat man die üblichen Fächer wie Norwegisch, Mathematik, Englisch, Geschichte, Ökologie, Biologie, Geographie, Sport, eine Fremdsprache wie Deutsch, Spanisch oder Französisch. Die Norweger lieben Technologie und das heißt, dass alle in der Schule einen Computer haben. Darüber wird eigentlich alles geregelt. Den ganzen Unterricht sitzt man vor seinem Computer und macht sich Notizen. Und auch wenn den norwegischen Schüler für jedes Fach ein Buch von der Schule gestellt wird, so wird eigentlich doch viel über das Internet recherchiert und Aufgaben online bearbeitet. Damit Lehrer und Schüler auch nach der Schule kommunizieren können, hat man Zugangsdaten zu einer Plattform. Norwegen setzt aber bei dem Erlernen von Schulstoff auf eine andere Methode als Deutschland. So versuchen die Lehrer den Schülern beizubringen, eigenständig zu arbeiten und zu recherchieren. Das heißt also, wir sitzen häufig in der Bibliothek und arbeiten in Gruppen, um Powerpoint-Präsentationen vorzubereiten und diese dann vorzustellen. Und auch wenn das Arbeiten mit dem Computer überwiegend Vorteile hat, so hat es einen großen Nachteil: Man wird sehr schnell abgelenkt durch das „kurze“ Checken von Facebook, Instagram, Twitter…

 

Muss man Norweger erstmal „auftauen“ lassen?

Was damit gemeint ist? Damit ist gemeint, dass Norweger dafür berüchtigt sind, dass es am Anfang ziemlich schwer ist mit ihnen Kontakt zu knüpfen. Das kann ich nicht ganz bestätigen! Mein erstes halbes Jahr habe ich in Narvik, Nordnorwegen verbracht. Hier war es nicht ganz leicht, Kontakte zu knüpfen. Die Menschen waren sehr zaghaft und waren etwas zögerlich, mit mir zu reden. Ich habe immer wieder versucht durch meine offene und lustige Art zu punkten, aber irgendwie half das nur für den Moment. Als ich nach meinem ersten halben Jahr nach Askøy, Bergen gekommen bin, war das schon wieder ganz anders. Die Leute kamen auf mich zu und haben mit mir gesprochen, waren sehr interessiert an allem und haben mich mit offenen Armen willkommen geheißen. Ich habe Freunde gefunden, die mich letzte Woche mit einer Abschiedsfeier überrascht haben und die mich über kurz oder lang alle mal in Deutschland besuchen kommen wollen. Meine Gefühle schlagen Purzelbäume vor Freude, dass ich dieses Jahr so erleben durfte. Und trotzdem kommt so langsam die Traurigkeit in mir. In weniger als 13 Tagen geht es nach Hause! Es wird langsam Zeit, von jedem Abschied zu nehmen, und das Gefühl, dass ich hier nie wieder die Schule besuchen werde, nie mehr mit meiner Gastfamilie zusammen leben werde, macht mich arg traurig.

Lilly mit ihrer kanadischen Gastschwester am Nationalfeiertag

Lilly mit ihrer kanadischen Gastschwester am Nationalfeiertag

Lilly mit ihren Gastgeschwistern

Lilly mit ihren Gastgeschwistern

Lilly mit ihrer Gastmutter und ihrer Gastschwester vor der Osloer Oper

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