Ich, Lieselotte, 18 Jahre, war neugierig, ein mir bisher komplett unbekanntes Land zu entdecken und war begeistert vom kleinen aber so vielfältigen Estland. Sofort beeindruckte mich die flache, wunderschöne Landschaft, sodass ich bei Autofahrten einfach nur noch aus dem Fenster schaute. Auf den Ausflügen mit dem Naturprogramm merkte ich dann, wie viel mehr die estnische Natur zu bieten hat: Malerische Küstenlandschaften, kleine Inseln, Hochmoore, Seen, Birken- und Kiefernwälder und vieles mehr. So kann man im Sommer Blaubeeren, im Herbst Pilze aus dem Wald sammeln, im Winter direkt vor der Haustür Langlaufen und im Frühling angeln gehen. Gemeinsam mit den anderen Schüler*innen des Naturprogramms entdeckten wir zerfallene Gebäude in der Landschaft, fuhren Kanu, erkundeten Inseln und campten am Meer. Aber auch abseits von der Natur schloss ich das Land sofort ins Herz: Die blau-schwarz-weiße Flagge, die netten Holzhäuser, die herzliche Art der Est*innen, die melodische Sprache so wie die Kultur samt Volksliedern und Volkstanz (der übrigens zu meinem großen Hobby werden sollte) und die zahlreichen leckeren Milchprodukte und Kartoffeln frisch vom eigenen Acker.
Ein kleines Land mit viel Natur: Typisch Estnisch
Das Landleben habe ich inzwischen sehr zu schätzen gelernt, denn die Störche sitzen im Sommer auf ihren Nestern im Garten, die Rehe sind Abends vom Fenster aus zu beobachten, Elche und Luchse leben in den Wäldern der Umgebung und sogar Polarlichter waren im Winter zu sehen. Dafür muss man dann eben die seltenere Busverbindung in Kauf nehmen, aber das Land ist ja zum Glück nicht groß, wirklich weit bis zur nächsten Stadt oder zum Bahnhof ist es nie, so konnte ich immerhin innerhalb einer Stunde mit dem Zug in die Hauptstadt Tallinn fahren. Dadurch, dass auch Züge und Busse sehr günstig sind, konnte ich durchs ganze Land reisen und so zum Beispiel die Universitätsstadt Tartu im Süden oder die Sommerhauptstadt Pärnu im Westen des Landes besuchen, wo es übrigens wunderschöne Strände gibt.
Die Est*innen selbst sind wie eine große Familie, denn man hat das Gefühl, dass jeder jeden kennt und kann durch den gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr einfach durchs Land reisen, so alles kennenlernen und sich mit Austauschschüler*innen aus verschiedenen Teilen des Landes treffen.
Estnische Freund*innen zu finden war zunächst eine Herausforderung für mich, weil ich anfangs nicht genug Estnisch konnte, um an den alltäglichen Gesprächen teilzunehmen und nicht besonders viel Interesse an mir gezeigt wurde. Gelang es mir aber endlich ein Gespräch anzufangen, waren alle freundlich und schnell merkte ich, dass sie sehr wohl Lust hatten, etwas mit mir zu machen, das aber einfach nicht so gut zeigen konnten. Bis zum Freundschaftstag (14. Februar) hatte ich endlich wunderbare Freund*innen gefunden mit denen ich diesen Tag nach estnischer Tradition feiern konnte.
Meine Gastfamilie: Herzlichkeit und Basketball
In diesem Jahr wurde das Mitfiebern bei Spielen des regionalen Basketballvereines mit meiner Gastfamilie zur Tradition, denn ich lebte nahe der Basketballhauptstadt Rapla und meine Gastfamilie liebte den Basketball genauso sehr wie ich.
Meine Gastfamilie hatte mich sehr herzlich aufgenommen und meine Gasteltern und meine beiden Gastschwestern ließen mich an allen Bereichen ihres Lebens teilhaben. Egal ob wir zusammen kochten, im Garten arbeiteten, auf dem Meer angelten, Verwandte besuchten, ins Kino gingen, zusammen spielten oder einfach nur redeten, es war immer lustig und sie beantworteten mir geduldig alle Fragen über die estnische Kultur. Ich fühlte mich sofort zu Hause und bin sehr dankbar für alles, was sie mir gezeigt und ermöglicht haben. Wir sind immer noch regelmäßig in Kontakt und ich habe sie innerhalb des letzten Jahres zweimal besucht.
Wer kann schon von sich behaupten Estnisch zu können?
Die Landessprache ist wirklich besonders. Eine Sprache, die zwar 14 Fälle hat, dafür aber weder eine Zukunftsform, noch ein Geschlecht und in einigen Wörtern dem Deutschen ähnelt. So heißt „sall“ „“Schal“, „kirš“ „Kirsche“ oder „müts“ „Mütze“. Mit genug Motivation ist das Erlernen der Sprache gut möglich und üben kann man ja sowieso am besten durch tägliches Sprechen. Und wie stolz die Est*innen erst sind, wenn sie merken, dass du ihre Sprache kannst!
Auch die Schule in Estland gefiel mir sehr gut. Ich besuchte das örtliche “Gümnaasium“, das nicht nur ein sehr modernes Schulgebäude mit einem Bereich zum „chillen“ und eine moderne Ausstattung mit technischen Geräten bot, sondern auch eine Vielfalt an spannenden Wahlfächern wie Kochen, Wandern, Physiotherapie, Volkstanz,… So ermöglichte es die Schule mir auch, beim dreitägigen Frauentanzfest teilzunehmen, wo unsere Tanzgruppe mit ca. 3.000 anderen Tänzerinnen auftrat, ein echtes Highlight! Außerdem ist das Schulessen immer kostenlos und die Schulgemeinschaft sorgt dafür, dass man sich sofort wohlfühlt. Wie wäre es, wenn Du einfach selbst herausfindest, warum kaum jemand nach dem Austauschjahr wieder aus Estland wegwollte?