YFU-Blog
Aktuelles aus Verein und Austauschwelt
2003/04 verbrachte Thekla Welp als PPP-Stipendiatin ein Austauschjahr in Dayton, Ohio. Danach engagierte sie sich ehrenamtlich für YFU und ist mittlerweile als Teach First Fellow tätig. Wir sprachen mit ihr über den Austausch, das Ehrenamt und ihren Einsatz für mehr Bildungsgerechtigkeit.
War es in deiner Familie selbstverständlich, ein Austauschjahr zu machen oder musstest du deine Eltern davon überzeugen?
Selbstverständlich war es auf keinen Fall. Meine Eltern waren mit der Idee nicht vertraut, haben sie dann aber unter der Voraussetzung befürwortet, dass ich mich selbst darum kümmern müsse. Ich erinnere mich aber sehr wohl daran, dass sie mich unterstützt haben.
Was ist deine lebendigste Erinnerung an dein Austauschjahr?
Die erste Erinnerung ist, wie ich beim Anblick meiner Gastfamilie dachte: „Ups, so habe ich mir meine Gastfamilie nicht vorgestellt!“ Sie wirkten hippiemäßig und nicht wie auf den Bildern. Schnell merkte ich, dass es die liebste und beste Familie überhaupt war und dazu eine Zahnarztfamilie, die gar nicht hippiemäßig lebte. Dieser Moment erinnert mich immer wieder daran, nicht dem ersten Eindruck zu trauen und seine Perspektive immer wieder zu überprüfen.
Was hat dich motiviert, nach deinem Austauschjahr bei YFU ehrenamtlich aktiv zu werden?
Ich habe in meiner Gemeinde schon Jugendgruppen geleitet und so viel mit Jugendlichen gearbeitet. YFU hat mich dann besonders interessiert, da ich dort Leute getroffen habe, die verstanden haben, was ich erlebt hatte. Das hat mich sehr lange bei der Stange gehalten. Bis heute mache ich Coloured Glasses Workshops und Auswahlen.
Nach deinem Wirtschaftsstudium hast du in einem Versicherungsunternehmen gearbeitet. Aus der Personalabteilung in eine Brennpunktschule ist es ein weiter Weg. Wie bist du zu Teach First gekommen?
Auf Umwegen. Schon als ich mit meinem Studium fertig war, sagte mir ein YFU-Freund: „Du musst bei Teach First anfangen. Das ist voll dein Ding.“ Aber als ich festgestellt hatte, wie hoch die Anforderungen sind und dass das Gehalt im Vergleich zu dem, welches mich nach meinem dualen Studium erwartete, geringer ist, habe ich mich dagegen entschieden. Ich fühlte mich auch noch nicht reif genug.
Und dann sinnierte ich während meines Masterstudiums mit einer Freundin darüber, warum man seine Lebensentscheidungen eigentlich immer rational trifft. Sie träumte davon, eine Yogaschule zu eröffnen, und ich sagte: „Wenn ich irrational wäre, würde ich mich bei Teach First bewerben.“ Und mit diesem Satz war es eigentlich geschehen.
Bildungschancen und -gerechtigkeit sind wichtige Themen für YFU. Ist nach deinen Erfahrungen als Fellow die Schule der richtige Ansatzort dafür?
Ich glaube, dass die Schule ein guter Ort ist, aber ich bin nicht der Meinung, dass zwingend der Unterricht der richtige Ort ist. Der trägt natürlich dazu bei, aber es geht vor allem darum, Selbstbewusstsein zu schaffen. Ich halte zwei Punkte für wichtig: Zum einen sollten alle Schülerinnen und Schüler eine „Bühne“ haben, die ihnen die Möglichkeit gibt, ihre selbst geschaffenen Ergebnisse darzustellen und ihre Fähigkeiten zu zeigen. So kann ihr Selbstvertrauen und ihre Identität wachsen. Und man muss sie dazu bringen, Dinge kritisch zu hinterfragen, ihnen zeigen, dass sie nicht alles hinnehmen müssen, sondern etwas verändern können.
Der Journalist Rainer Hank schrieb in der F.A.Z., dass es weniger um das Schaffen von neuen Bildungschancen ginge, als vielmehr darum, dafür zu sorgen, dass die vorhandenen wahrgenommen werden. Ist das auch dein Eindruck?
Auf jeden Fall. Zwei meiner Schülerinnen nehmen in diesem Jahr an Programmen teil, die sie enorm voranbringen werden. Das zu erreichen, war eine Riesenanstrengung. Sie haben ihren Teil dazu beigetragen, aber ich habe vieles von dem übernommen, was in anderen Familien von zu Hause kommt. Es reicht nicht, dass es die Chancen gibt. Es braucht Personen, die helfen, die Chancen zu ergreifen.
Deswegen glaube ich – um auf YFU zurückzukommen – dass vereinfachte Bewerbungsunterlagen zwar hilfreich sind, aber meine Schülerschaft erreicht man nicht über Unterlagen allein. Es müssen Lehrer oder Mentoren involviert sein, die gezielt Schüler*innen ansprechen, den Prozess anstoßen und kontinuierlich begleiten.