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YFU-Blog

Aktuelles aus Verein und Austauschwelt

Genuss, der Wissen schafft

6. Dezember 2021

Nils und Surya sind beide YFU-Alumni: Nils hat 2000/01 ein Austauschjahr in den USA verbracht, Surya drei Jahre später in der Schweiz. 2018 haben beide gemeinsam das Sozialunternehmen „College Curries“ gegründet, das Bildung von jungen Erwachsenen in Indien unterstützt. In ihrem Interview teilen beide ihre Vision für College Curries und verraten, wie sehr sie ihr Austauschjahr beruflich wie privat immer noch prägt. 

 

Wie seid ihr damals auf die Idee gekommen, ein Austauschjahr zu machen?

 

Surya: Als die große Schwester meiner Freundin ins Austauschjahr ging, wollte ich auch los und meine eigenen Erfahrungen machen. Weil ich zwei Jahre vorher mit meinen Eltern aus Indien nach Deutschland umgezogen war, wollte ich nicht zu weit weg, und so wurde es die französischsprachige Schweiz.

 

Nils: Ein aus den USA zurückgekehrter Austauschschüler hat an meiner Schule davon erzählt. Die Möglichkeit, irgendwo anders auf der Welt für ein Jahr zur Schule zu gehen, fand ich umwerfend. Das wollte ich auch unbedingt machen.

 

Was hat euch damals am meisten überrascht und im Rückblick am stärksten geprägt?

 

Surya: Am meisten überrascht haben mich die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz und meine eigene deutsche Prägung, ohne in Deutschland aufgewachsen zu sein. Ein lustiges Beispiel ist der Konsum an Kartoffeln: Die Schweizer*innen in meinem Umfeld aßen nicht so viele Kartoffeln wie ich. Insgesamt haben mich die Fragen, wer ich bin und wer ich sein will, im Austauschjahr sehr beschäftigt. Am stärksten geprägt hat mich tatsächlich diese Auseinandersetzung mit mir selbst.

 

Gemeinsam habt ihr „College Curries“ gegründet, welches mit der Herstellung von Curries nach den authentischen Rezepten indischer Frauen die Bildung ihrer Kinder finanziert. Was ist eure Vision für „College Curries“?

 

Surya: Meine Vision ist, eine große Vielfalt an Currymischungen nach Deutschland zu bringen und damit begabte und engagierte Studierende in Indien zu fördern. Ich wünsche mir, dass wir diese Nutzung lokalen Wissens auch auf andere Regionen und Produkte ausweiten können.

 

Nils: Mir ist wichtig, dass verstanden wird, dass jeder Mensch etwas Einzigartiges hat, auch wenn es dieser Mensch selbst als völlig banal erachtet. Renuka, eine der Frauen, meinte zu uns, als wir sie fragten, ob wir ihr Currypulver auf Spendenbasis für unsere Freunde mitnehmen könnten: “MEINE Currymischung?? Was wollen die denn damit, sowas hat doch jeder.” – Nein, eben nicht. Außerdem finde ich es großartig, dass wir traditionelles Wissen dokumentieren und nutzen, um damit neues Wissen zu ermöglichen.

 

Euch liegen Bildungschancen und Bildungsgerechtigkeit am Herzen, genau wie YFU. Warum ist euch das Thema wichtig?

 

Surya: Ich habe im Austauschjahr mein Schulgeld nicht selbst bezahlt und war später Stipendiatin einer Stiftung in Deutschland. Ohne Programme zur Förderung von Bildungschancen wäre ich selbst nicht an dem Punkt, an dem ich jetzt bin. Für die Unterstützung bin ich sehr dankbar.

 

Nils: Bildung öffnet Horizonte. Das Potenzial, mit seinem Geist Großartiges zu vollbringen, ist zufällig über die Bevölkerung verteilt. Die Ressourcen, das Potenzial zu entwickeln, stehen aber nicht allen zur Verfügung – selbst bei uns nicht! Wir wissen nicht, wer der nächste Nobelpreisträger wird, deshalb sollte jeder es probieren dürfen und alle Unterstützung dafür bekommen.

 

Was sagen eure indischen Projektpartnerinnen zum Erfolg ihrer Rezepte in Deutschland? Und wie haben sich durch die Stipendien die Perspektiven für ihre Kinder verändert?

 

Surya: Die Mütter sind stolz auf ihre Mischungen und genießen die dazu gewonnene Anerkennung ihrer Männer und Kinder. Seit Bhuvana, eine der Stipendiatinnen, erlebt hat, dass ihr das Molakathule ihrer Mutter zwei Masterstudiengeänge bezahlt hat, wertschätzt sie die Mischung und das kulinarische Wissen ihrer Mutter viel stärker. Die Kinder haben jetzt deutlich bessere Berufschancen als ohne abgeschlossenes Studium. Bhuvana arbeitet zum Beispiel als Lehrerin und verdient als Berufseinsteigerin 1,5-Mal so viel wie ihre Mutter, die seit 30 Jahren berufstätig ist.

 

Nils: Und Joseph, Jancys Mann, wusste zwar schon immer, dass seine Frau richtig gut kochen kann, jetzt aber macht er mit seinem Handy Videos davon und schickt sie uns, damit wir damit ein Rezept für eine Postkarte machen können. Dass die Wertschätzung innerhalb der Familie steigt, ist etwas Schönes - gerade in Indien, das oft Negativschlagzeilen zu bieten hat, was Frauen betrifft.

 

Welche Erfahrungen aus dem YFU-Austausch haben euch in Indien bzw. auf dem Weg in die Selbstständigkeit weitergeholfen?

 

Surya: In meinem Austauschjahr lernte ich Methoden, um mich und Andere besser zu verstehen. Das hilft mir bis heute in allen Lebenslagen, sowohl in Indien als auch in Deutschland.

 

Nils: Durch das ganze Jahr in einer "Gastkultur" habe ich gelernt, die eigene Kultur zu reflektieren. Der eigenen Familie später die Unterschiede zwischen indischer und deutscher Perspektive zu erklären, wäre mir sonst kaum möglich gewesen.

 

Welchen Rat würdet ihr Jugendlichen mitgeben, die sich aktuell gerade für ein Austauschjahr bewerben?

 

Surya: Fahrt ins Austauschjahr, egal wohin!!

 

Nils: Vertraue keinen Gerüchten, vertraue dir selbst. Wenn du Probleme hast, sind die Menschen um dich herum - Gastfamilie, Mitschüler*innen, Freund*innen, Lehrer*innen - immer (!) die ersten Ansprechpartner*innen.

 

Wenn ihr euch heute noch einmal für ein Austauschland entscheiden müsstet – welches Land würdet ihr erleben wollen und warum?

 

Surya: Im Hier und Jetzt würde ich mich für Ecuador entscheiden, da ich noch nie in einem lateinamerikanischen Land war. Wenn ich heute noch mal 16 wäre, würde ich immer wieder die Schweiz wählen, die Erfahrungen dort möchte ich auf keinen Fall missen.

 

Nils: Estland, Polen, die Niederlande, Indien, Thailand, Ghana - über all die Länder weiß ich noch immer viel zu wenig. Tatsächlich ist Indien sehr weit oben auf dieser Liste, obwohl ich es ja schon aus mehreren Jahren kenne, die ich dort gelebt habe. Die Perspektive auf das Land durch die Gastfamilie ist nochmal eine ganz Einzigartige!

 

YFU dankt Nils und Surya für das spannende Interview! Und für alle, die gern mehr wissen möchten: Auf dem YouTube-Kanal von YFU Deutschland findet ihr das Rezept für ein leckeres Krabben Curry von Renuka - guten Appetit! 

 

Foto Titel: Sylvia Fischer/College Curries

Surya mit Bhuvana (m.) und Renuka (l.) in Indien. Foto: Vimal Bhodaj

Surya mit Bhuvana (m.) und Renuka (l.) in Indien. Foto: Vimal Bhodaj

Nils und Surya haben gemeinsam "College Curries" gegründet. Foto: Sylvia Fischer

Nils und Surya haben gemeinsam "College Curries" gegründet. Foto: Sylvia Fischer

Ihre Curries haben sein Studium finanziert: Mina (v.) mit Arun (l.). Foto: Vimal Bhodaj

Ihre Curries haben sein Studium finanziert: Mina (v.) mit Arun (l.). Foto: Vimal Bhodaj

Auszeichnung für ehrenamtliches Engagement