Juliane hat 1994/95 ein YFU-Austauschjahr in den USA verbracht – seitdem ist ihre Gastfamilie ein fester Bestandteil ihres Lebens. Der Kontakt ist nie abgebrochen und im Sommer 2024 hat Juliane zum ersten Mal gemeinsam mit ihren Kindern ihre Gastfamilie in Ohio, USA besucht – 30 Jahre nach ihrem Start ins Austauschjahr. Im Interview erzählt sie uns von dem Wiedersehen und verrät, wie ihr Austauschjahr und insbesondere ihre enge Verbindung zu ihrer Gastschwester ihr Leben bis heute bereichert.
Liebe Juliane, du hast 1994/95 ein YFU-Austauschjahr in Ohio, USA verbracht: Erinnerst du dich noch an deinen ersten Eindruck bei der Anreise?
Das ist wohl einer der Eindrücke, die man nie vergisst, obwohl ich so unglaublich müde war nach der langen Reise: Ich sehe meine Gastfamilie vor mir, wie sie mich am Flughafen mit einem Willkommensplakat empfängt und wie wir dann lange durch die Dunkelheit in mein Zuhause für das nächste Jahr fuhren. Ich hatte das Gefühl, gar nicht Englisch sprechen zu können und sah lauter weiße Lichtlein in der Dunkelheit. „Ich bin ganz schön durcheinander“, dachte ich. Tatsächlich wurde mir später klar, dass es reichlich Glühwürmchen in der Gegend gab und am nächsten Morgen erwachte auch mein Englisch in ausreichendem Maße.
Du hast heute noch Kontakt zu deiner Gastfamilie: Wie war euer Verhältnis während des Austauschjahres und welche Rolle spielt deine Gastfamilie heute in deinem Leben?
Wir hatten von Anfang an ein ruhiges, unaufgeregtes und damit gutes Verhältnis. Mein Gastvater, ein ehemaliger Honda-Arbeiter, ist noch heute mit über 80 Jahren ein fleißiger Erzähler und sprach von Anfang an auf mich ein. Er erzählte schon damals gerne Witze und Anekdoten und stellte viele Fragen. Meine Gastmutter, eine Krankenschwester, ist sehr ruhig und friedlich mit einem angenehmen Humor. Sie verriet mir erst später, dass sie anfangs recht unsicher mit mir war. Dass ich eine Gastschwester hatte, trug sicherlich zu meinem Glück bei. Sie ist nur ein Jahr jünger und damit praktisch gleich alt. Als normale Mitschüler hätten wir vielleicht gar nicht zueinander gefunden. Aber als Gastgeschwister haben wir wunderbar funktioniert und sind über die Jahre immer enger geworden. Wir waren nicht wie euphorisch beste Freundinnen während des Jahres, haben aber die Tage sehr schön miteinander verbracht – mit Lesen, Schreiben, Fernsehen, Freunde besuchen sobald sie fahren konnte… Wir haben Zeit zusammen und getrennt verbracht. Wir streiten beide ungern, aber manchmal lag auch Spannung in der Luft. Irgendwie haben wir das gut bewältigt. Es ist so ein glücklicher Zufall, dass wir beide durch engen Briefkontakt, dann durch Mails, mittlerweile durch (mal wöchentliche, mal tägliche) WhatsApp und relativ regelmäßige Besuche fast alle zwei Jahre in Kontakt geblieben sind.
Diese Familie und das Jahr sind für mich wie ein zweites Leben, das mein sonst eigentlich schon schönes Leben nochmal bereichert. Meine US-Familie begleitet mich seit 1994. Die Ähnlichkeiten und auch großen Unterschiede zwischen unseren beiden Welten haben so viel Interesse für die Welt, für Politik, für Menschen mit ihren so vielfältigen Meinungen und Lebensweisen bei mir geöffnet. Ich war später im Studium nochmal für ein Jahr in Frankreich und für Praktika in Russland, Uganda, Österreich. Überhaupt reise ich sehr gerne – das könnte allerdings auch familiär bedingt sein. Auf jeden Fall hatte ich keine Ängste vor neuen Herausforderungen im Ausland und gehe bis heute gerne auf Menschen zu. Hinzu kommt der ungezwungene Umgang mit der englischen Sprache, die sich tief verankert hat.
Unsere Geschichte geht auch auf die nächste Generation über: Jedes Jahr zu Weihnachten und zu den Geburtstagen schicken wir uns Päckchen. Das ist mitunter anstrengend und teuer, aber trägt sicherlich zu unserem engen Verhältnis bei. Vor zwei Jahren war ihre damals 16-jährige Tochter für zwei Monate bei uns. Wegen der Sprachbarriere und dem Altersunterschied zu unseren Kindern lief es etwas holprig. Wir würden es aber allemal wieder machen.
Ihr habt euch seit deinem Austauschjahr öfter gegenseitig besucht, besonders oft mit deiner Gastschwester – die durch YFU noch einen weiteren engen Kontakt in Europa hat. Bitte erzähle ein wenig über euer „Dreiergespann“.
Zwei Jahre nach meinem Austauschjahr kam eine Dänin an meine ehemalige High School, mit der sich meine Gastschwester angefreundet hat und die ich später auch kennenlernen konnte: Als meine Gastschwester mich einmal in Deutschland besuchte, organisierten wir, dass auch die Dänin dazukommen könne. Und seitdem halten wir das so. Über die Jahre sind wir ein echtes Dreiergespann, das noch lange so halten wird. Mit unserer WhatsApp-Gruppe halten wir uns sehr regelmäßig über unsere Familien, aktuelle Geschehnisse oder auch nur das Wetter auf dem Laufenden. Wenn unser aller Kinder groß genug sind, werden wir auch mal gemeinsam verreisen - vielleicht aber auch nur wir drei „girls“.
Im August 2024, ziemlich genau 30 Jahre nach deiner Ankunft in den USA, warst du wieder zu Besuch bei deiner Gastfamilie – zum ersten Mal gemeinsam mit deinen Kindern. Wie war das Wiedersehen?
Wir freuen uns bei jedem Wiedersehen so sehr – wie es eben ist, wenn man weitgereisten Besuch bekommt. Die Aufregung war auch dieses Mal auf beiden Seiten groß. Unsere gemeinsamen Tage waren dann aber sehr vertraut. Vielleicht, weil meine Gastfamilie in meinem Leben solch ein wichtiger Teil ist, dass sie auch für meine Kinder schon immer eine Rolle gespielt haben. Auch mein Mann hat diese Beziehung seit jeher unterstützt und mit gelebt.
Tatsächlich ist meine Gastschwester auch ein Teil meiner deutschen Familie geworden. Meine Schwester hat immer mal wieder Geschenke für die Gastfamilie mitgegeben und umgekehrt. Mein Bruder war zufällig im selben Jahr wie ich in den USA und auch in Ohio, hatte mich dort besucht, und andersherum haben wir ihn gemeinsam in Deutschland besucht. Meine Eltern hatten mich bestmöglich mit dem Austauschjahr unterstützt. Bei meiner Rückkehr hat mich meine Gastschwester nach Deutschland begleitet, wo meine Eltern eine erlebnisreiche Reise über Bayern bis nach Hause in Mecklenburg und eine Busreise nach Paris mit ihr organisiert hatten. Auch für meine Eltern ist meine Gastschwester ein fester Bestandteil in ihrem Leben geworden. Sie geben jedes Mal Geschenke mit und bekommen einen Gruß zurück, schreiben zu Geburtstagen.
Wenn du zurückblickst: Inwiefern hat dein Austauschjahr dein späteres Leben geprägt und wirkt vielleicht noch bis heute nach?
Dieses Austauschjahr hat mich so reich gemacht, wie man nur reich sein möchte: So viele Bilder und Erlebnisse, Erfahrungen und Menschen, die ich im Kopf und im Herzen sammeln konnte. Ich empfinde es als großes Glück, für das ich sehr dankbar bin. Der Kern dieses Glücks sind wohl meine Gastschwester und ich. Aber zum Ganzen gehören unsere eigenen heutigen Familien, unsere Eltern und Geschwister und so einige Freunde und Verwandte aus unseren jeweiligen Leben.
Wir nennen uns selbst manchmal „poster family“ („Werbefamilie“), weil wir das Gefühl haben, dass mein/unser Austauschjahr, das meine USA-Familie zur Gastfamilie gemacht hat genau den Sinn erfüllt, den es nur haben kann: Über Grenzen hinweg vereint zu sein, Toleranz und Austausch zu leben. Ein guter Grund, unsere Freude über dieses Glück zu teilen!