YFU-Blog
Aktuelles aus Verein und Austauschwelt
Charlotte Göttling war 1991/92 als YFU-Austauschschülerin in den USA, jetzt verbringt ihre Tochter Victoria mit YFU ein Austauschjahr in Irland. Wir haben noch vor Victorias Abreise mit Frau Göttling über ihre eigene Austauscherfahrung und die neue Perspektive als Mutter einer Austauschschülerin gesprochen.
Frau Göttling, sie haben als Schülerin 1991/92 ein Austauschjahr mit YFU in den USA verbracht. Wie kam es dazu?
Wir haben damals in der Schule Informationen von YFU erhalten und ich war direkt interessiert, hatte aber auch Zweifel: In Englisch hatte ich nur eine Drei, ich hing sehr an zu Hause und war insgesamt eher zurückhaltend. Meine Eltern haben mich aber sofort in der Idee bestärkt und mir Mut gemacht. Also habe ich mich beworben und an einer Auswahl teilgenommen, allerdings zunächst keinen Platz bekommen: Am Ende fehlte der Auswahlleitung noch ein kleines bisschen Selbstvertrauen. Ich kam also auf eine Nachrückerliste und damit war die Sache für mich erst einmal erledigt. Doch dann begann der Zweite Golfkrieg und tatsächlich wurden kurzfristig noch einige Plätze im USA-Programm frei. Da es bei mir eine sehr knappe Entscheidung war, erhielt ich einen Anruf und hatte eine Woche Zeit, mich zu entscheiden. Es war dann wieder meine Mutter, die mich bestärkt hat und am Ende habe ich mich für das Austauschjahr entschieden – und das war die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können.
Warum genau?
Vor meinem Austauschjahr war ich wie gesagt sehr schüchtern und zurückhaltend. Ich war immer ein bisschen das „Fähnchen im Wind“ und traute mich kaum, meine eigene Meinung zu sagen. Nach meiner Rückkehr aus den USA wurde das ganz anders: Auf einmal hatte ich den Mut, für meine Meinung einzustehen, auch den Lehrern gegenüber mal Kontra zu geben und Sachen zu hinterfragen, Das hätte ich mich vor meinem Austauschjahr niemals getraut. Ich hatte nun viel mehr Selbstvertrauen und natürlich war auch mein Englisch viel besser geworden, was mir später zum Beispiel in meinem Berufsleben geholfen hat. Ich war durch mein Austauschjahr insgesamt einfach ein viel erwachsener und selbstsicherer Mensch geworden.
Sie haben zu Beginn gesagt, dass Sie vor der Abreise Zweifel und auch Sorgen hatten, ob so ein Austauschjahr das Richtige für Sie sei. Wie war es denn dann, als Sie schließlich in Ohio, USA angekommen waren?
Ich wurde direkt zu Beginn ins kalte Wasser geworfen, da ich aufgrund einer Erkrankung kurz vor Abreise nicht den Gruppenflug nehmen konnte, sondern allein zu einem späteren Zeitpunkt nachfliegen musste. Ich habe aber schon im Flieger erste Kontakte geknüpft und hatte dann das große Glück, eine ganz tolle Gastfamilie zu haben, die mich von Anfang an wie eine eigene Tochter aufgenommen hat. Trotzdem war besonders das erste Halbjahr nicht einfach für mich: Ich hatte oft Heimweh und habe Zeit gebraucht, um mir einen Freundeskreis aufzubauen. Wahrscheinlich war es mein Glück, dass es damals noch keine Sozialen Medien oder Ähnliches gab und ich mit meiner Familie in Deutschland nur über Briefe kommuniziert habe. So musste ich „Dranbleiben“ und in der zweiten Hälfte hatte ich dann auch meinen Platz gefunden – wobei ich mich auch in dieser Zeit trotz meiner tollen Gastfamilie und neuen Freunden auch immer auf mein Zuhause gefreut hatte. Aber auch das gehört wohl auch zu einer Austauscherfahrung dazu: Sein Zuhause neu schätzenzulernen.
Wenn Sie heute an Ihre Zeit in den USA zurückdenken: Was ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?
Als allererstes fällt mir ein, wie verrückt ich es fand, dass wir keine Schultasche hatten, sondern unsere Bücher die ganze Zeit im Arm von Klassenraum zu Klassenraum geschleppt haben (lacht). Auch das ganze Schulleben, ganz klischeehaft mit Football, Cheerleading und Marching Band, ist mir eindrücklich in Erinnerung geblieben – wobei ich als Teil der Band eher zu den „Nerds“ gehört habe, die dann bei den Spielen übers Feld marschiert sind. Das war schon eine besondere Erfahrung, die aber ganz viel Spaß gemacht hat. Ich erinnere mich auch noch, dass selbst im dicksten Winter meine Mitschüler in kurzen Hosen zur Schule kamen. Einmal habe ich das dann auch probiert und fand es gar nicht schlimm – zu Hause in Hessen wäre das aber für mich nie in Frage gekommen.
Sie haben Ihre Gastfamilie erwähnt, die Sie wie eine eigene Tochter bei sich aufgenommen haben: Was bedeutet Ihnen Ihre Gastfamilie heute?
Meine Gastfamilie ist wirklich wie eine zweite Familie für mich. Zehn Jahre nach meinem Austauschjahr hatte ich sie das erste Mal wieder in Ohio besucht, als ich für ein Praktikum in New York war. Meine Gasteltern waren auch 2005 auf meiner Hochzeit und kurz nach der Geburt meiner zweiten Tochter noch einmal zu Besuch bei uns. Wir telefonieren regelmäßig und besonders zwischen meiner ältesten Tochter – die nun im Sommer ins Austauschjahr starten wird – und meinem Gastvater ist eine ganz innige Beziehung gewachsen. Die beiden telefonieren, schreiben sich regelmäßig, wirklich wie zwischen Enkelkind und Opa. Meine Gastfamilie hat immer noch einen festen Platz in meinem Leben – und das ist ein gutes Gefühl.
Sie sind nun selbst Mutter von drei Kindern und ihre älteste Tochter Victoria wird im Sommer für ein Schuljahr nach Irland gehen. Wie haben Sie die Entscheidung bzw. den Weg bis dahin erlebt?
Ich habe sie von Anfang an in der Idee bestärkt! Sie ist ähnlich wie ich damals ein eher ruhiger Typ und hatte auch immer wieder mal Zweifel, aber wir haben sie nicht bedrängt, sondern ihr viel Zeit gegeben und ihr – auch aufgrund meiner eigenen Erfahrung – immer wieder Mut gemacht, den Schritt zu wagen. Am Ende hat sie sich tatsächlich dafür entschieden, ein Austauschjahr zu machen und ich habe mich sehr gefreut – einfach weil ich davon überzeugt bin, dass das toll werden wird. Als Mutter habe ich dabei neben dem lachenden natürlich auch ein weinendes Auge: Victoria ist meine Älteste und wir haben ein sehr inniges Verhältnis. Aber da muss ich mich zusammenreißen und mich immer wieder daran erinnern, wie gut ihr das tun wird.
Haben Sie einen Tipp an Ihre Tochter, aber vielleicht auch an alle anderen angehenden Austauschschüler*innen, die bald in ihr Austauschjahr starten?
Immer offen für alles sein und sich nicht von Anfang an gegen die Kultur und Lebensweise sperren. Es ist wichtig, Dinge einfach mal auszuprobieren und dann zu entscheiden, ob es das Richtige für einen ist – oder aber auch nicht. Und auch in der Kommunikation sollte man offenbleiben und direkt ansprechen, wenn man Fragen hat oder etwas vielleicht auch mal nicht so gut läuft. Dafür gibt es die Betreuer*innen von YFU und andere Ansprechpersonen, bei denen man sich Rat und Hilfe holen kann. Das Wichtigste ist, sich nicht zu verkriechen – erst recht nicht dann, wenn es mal schwierig wird. Ich verspreche, es lohnt sich!