„Sicher nicht alltäglich ist die Geschichte meiner Familie rund um den Schüleraustausch und das Parlamentarische Patenschaftsprogramm PPP zwischen Deutschland und den USA. In diesem Jahr wird meine amerikanische Enkeltochter Evie Baas mit einem Stipendium des US-Congress nach Deutschland kommen. Das alleine ist nicht ungewöhnlich. Aber ihre Mutter - meine Tochter - Dorothee Baas geb. Lübke reiste genau mit diesem Stipendium des Deutschen Bundestags im Jahr 1994 von Deutschland in die USA. Sie verliebte sich in einen Mitschüler und er sich in sie und beide haben alle Anstrengungen unternommen, um Zeit und Raum zu überbrücken und leben heute glücklich verheiratet mit zwei Kindern in Royal Oak, Michigan, in der Nähe von Detroit.
Aber auch das hat seine Vorgeschichte. Ich - die Mutter und Großmutter der beiden – hatte als Schülerin den sehnlichen Wunsch, in den USA zur Schule zu gehen und auch ich reiste im Jahr 1971 mit einer Gruppe Jugendlicher zum Schüleraustausch nach Michigan. Das war nicht meine erste USA-Reise. Ich gehörte zu einem damals weltbekannten Kinderchor, dem "Obernkirchen Childrens Choir". Ab meinem elften Lebensjahr war ich in den 1960er Jahren auf drei großen, jeweils dreimonatigen Konzerttourneen dabei. Auftritte in der Carnegie Hall und im Weißen Haus gehörten genauso dazu wie viele umjubelte Konzerte in ganz Amerika. "Angels in pigtails" wurden wir genannt und waren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Botschafter für ein neues Deutschland.
Auf meiner dritten USA-Tournee schrieb ich einen Brandbrief nach Hause: Bitte, liebe Eltern, meldet mich zum Schüleraustausch an, bevor ich wieder zurück bin und die Fristen verstrichen sind. Da war ich 15. Ich denke, jede und jeder kann seine persönlichen Geschichten erzählen. Ich wurde in die National Honor Society der USA aufgenommen und treffe mich noch heute mit meinen amerikanischen Schulkollegen, so auch zum 50jährigen High School Abschluss. Ich erlebe besonders in dieser Zeit, wie wichtig es ist, dass meine Freunde in Amerika jemanden haben, der ihnen aus erster Hand aus Europa erzählen kann.
Mir war es immer wichtig, dass meine Kinder mit Weltoffenheit aufwachsen und einen Blick über den Tellerrand werfen. So reiste auch mein Sohn zum Schüleraustausch in die USA und meine jüngste Tochter verbrachte ein sehr emotionales Schuljahr in Norwegen. Ihre norwegische Gastgroßmutter weigerte sich zunächst, eine "Deutsche" in ihrem Haus zu empfangen. Zu tief saßen die Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg. Meine Tochter schaffte es, ihr Herz zu öffnen und Jahre später besuchte uns diese Großmutter hier in Deutschland.
Ich kann die Bedeutung des gegenseitigen Schüleraustausches nicht hoch genug hängen. In einer Welt voller "Fake News", Vorurteile und Aggressionen ist eine der Waffen, die wir haben, der persönliche Kontakt und die Wahrnehmung des Gegenübers als realen Menschen. In diesem Sinne hoffe ich, dass es noch vielen Jugendlichen gelingt, sich ein eigenes Bild von der Welt da draußen zu machen und wir sie dabei unterstützen."
Ein Bericht von Isabel Lübke, YFU-Austauschschülerin 1971/72, USA.