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YFU-Austauschjahr in Finnland

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In Finnland zu Hause

14. April 2022

Am Ende ihres Austauschjahres fühlte sich YFU-Austauschschülerin Nicole in Finnland so zu Hause, dass sie kurz darauf dauerhaft dorthin zog. In diesem Interview erzählt sie von ihren Erlebnissen und ihrem Leben in Finnland.

 

Liebe Nicole, du hast dein Austauschjahr 2017/18 in Finnland verbracht. Warum hast du dich ausgerechnet für dieses Land entschieden?

 

Ich wollte tatsächlich schon seit der 5. Klasse, damals war ich gerade mal 9 Jahre jung, ins Ausland. Nachdem ich in der Grundschule schlechte Erfahrungen mit Fremdsprachen gemacht hatte, kam in der 5. Klasse endlich Englisch dazu und ich habe es direkt geliebt, langsam aber sicher eine weitere Sprache zu beherrschen. Wenn man eine neue Sprache lernt, ist es natürlich anfangs immer etwas holprig, so war es bei mir und Englisch auch. Also hatte ich mir da schon fest vorgenommen in die USA zu gehen, sobald ich alt genug war, mit dem Gedanken dann „perfekt Englisch sprechen zu können“ und ganz typisch dem „American Dream“ zu folgen.

 

Nun, die 8. Klasse kam, inzwischen war mein Englisch allerdings sehr gut und ich empfand es als eher langweilig in ein Land zu gehen, dessen Sprache ich bereits spreche. Ich wollte etwas ganz Neues. Nun musste also ein Land her, dessen Sprache ich noch überhaupt nicht konnte. Spanischsprachige und französischsprachige Länder waren somit auch schon gestrichen, da ich beides in der Schule gelernt hatte (wirklich sprechen konnte ich aber keine der beiden Sprachen!). Ich wollte zudem in Europa bleiben, mit dem Hintergedanken, dass man auch nach dem Auslandsjahr einfach so rüber fliegen könnte. Zur gleichen Zeit war einer meiner Freundinnen privat in Finnland für drei Monate und das gab mir damit den Anstoß: Finnland soll es sein! Dazu kam auch, dass ich zur gleichen Zeit viele finnische Bands verfolgt habe und ich total verliebt in Eishockey war. Die besten Voraussetzungen also!

 

Ich habe mich also noch in der 8. Klasse beworben, um mich nach der 9. Klasse auf den Weg zu machen. Ich habe sehr gehofft, in der Hauptstadtregion platziert zu werden, da ich in Deutschland mein ganzes Leben in einem kleinen Städtchen gewohnt habe (im Nachhinein bin ich mir aber sicher, dass ich mich egal in welcher Stadt in das Land verliebt hätte). Anfang 2017 habe ich dann meine Gastfamilie bekommen. Mäntsälä. Google geöffnet. Genau zwischen Helsinki und Lahti. Jackpot!

Und so ging meine Reise ins Unbekannte los.

 

Oft wird berichtet, dass die Menschen in Finnland anfangs sehr zurückhaltend seien. Hattest du diesen Eindruck auch? War es schwierig, Kontakte zu knüpfen?

 

Das empfinde ich nicht so. Vielleicht hatte ich aber auch den Vorteil, auf eine Schule zu gehen, die in den Jahren zuvor schon ein paar Austauschschüler aufgenommen hatte. Zudem hatte ich das Glück, eine ganze großartige Deutschlehrerin auf meinem Lukio (wie das deutsche Gymnasium) zu haben, die sich mir direkt angenommen hat. Sie hat mich am ersten Tag in ihren Abi-Deutschkurs genommen, obwohl ich mich dafür gar nicht eingeschrieben hatte, und dort habe ich direkt eine ganz liebe Schülerin kennengelernt. Sie hat sich direkt noch nach dem Unterricht mit mir unterhalten und hat mich am Ende des Schultags gerettet als ich meinen Bus nach Hause verpasst hatte. Niemand hatte mich nämlich auf das Linjaauto – meinen „Bus“ vorbereitet, der mehr einem umgebauten Van geglichen hat als einem öffentlichen Verkehrsmittel. Auch beim ersten Mittagessen in der Schule haben sich direkt drei Jungs zu mir gesetzt, da einer von ihnen Halb-Deutscher war. Generell haben die Lehrer mir viel geholfen und immer darauf geachtet, dass ich in Gruppenarbeiten nie allein war am Anfang. Und dadurch sind meine besten Freundschaften entstanden.

 

Du hast uns geschrieben, dass du dich am Ende des Austauschjahres in Finnland zu Hause gefühlt hast. Wie war es, wieder nach Deutschland zu kommen?

 

Der Tag, an dem ich zurück nach Deutschland musste, war ein ganz schlimmer Tag. Und wie ich das hier gerade schreibe, habe ich tatsächlich wieder Tränen in den Augen. Ich habe schon Monate lang zuvor versucht meine Eltern zu überzeugen, ob ich nicht in Finnland bleiben kann, aber ohne Erfolg. So kam es dann also ein paar Tage nach Mitsommer, dass meine zwei besten Freunde und mein Freund mich zum Flughafen gefahren haben. Die ganze Autofahrt lang war die Stimmung total gedrückt. Keiner hat gelacht, wir haben kaum gesprochen und man hat nur unsere Musik aus dem Bluetooth Speaker gehört. Die Playlist meines Austauschjahres. Unsere Playlist.

Nach tausenden von Umarmungen am Flughafen, vielen Taschentüchern und unzählige Versprechen, dass wir uns bald wiedersehen, ging es dann für mich zurück nach Deutschland.

 

Anschließend konnte die Zeit gar nicht schnell genug vergehen, denn einen Monat später sollte mein Freund mich besuchen kommen. Yeah, ein Lichtblick! Zudem hatten meine Eltern schon vor Monaten geplant, für drei Wochen in den Sommerferien mit mir nach Finnland zu gehen, damit ich ihnen all die Orte zeigen kann, in die ich mich verliebt hatte.

 

Mittlerweile lebst du wieder in Finnland. Wie ist es dazu gekommen?

 

Ursprünglich wollte ich nach dem Austauschjahr das Abi machen. Es kam aber alles ganz anders, denn ich sollte ein Baby bekommen. Das war natürlich erst einmal ein Schock. Aber dann habe ich beschlossen, erst einmal meinen Realschulabschluss zu machen. Gleichzeitig hat mein Freund sich dazu entschlossen, sein letztes Jahr im Lukio online zu machen, um somit bei mir in Deutschland sein zu können. Dadurch hatte ich wenigstens ein klein wenig Finnland bei mir.

 

Nach dem Schulabschluss war für uns schnell klar, wir wollen so bald wie möglich zurück nach Finnland. Abschluss: Check. Kind bekommen: Check. Dann hieß es: One-Way-Ticket nach Helsinki. In Finnland angekommen habe ich noch am gleichen Abend meine beste Freundin besucht, ein paar Tage später gab es die große Welcome-back Party. Ich war zu Hause. Nur dass mein zu Hause sich verändert hatte. Alle haben über ein Jahr ohne mich gelebt und obwohl wir alle ständig in Kontakt waren, war ich eben doch einige 1000 km weit weg. Es hat einige Monate gedauert, bis ich mich wieder richtig eingelebt hatte und ich glaube, selbst heute habe ich noch nicht ganz damit Frieden geschlossen, dieses eine Jahr verpasst zu haben.

 

Was machst du aktuell?

 

Inzwischen bin ich fast fertig mit meiner Ausbildung zur Erzieherin/Altenpflegerin, die ich an einer Berufsschule mache. Obwohl ich mich auf Kindererziehung spezialisiert habe, arbeite ich jetzt schon seit über einem Jahr in einem Altenheim in Mäntsälä, ganz nach dem Motto – back to the roots. In meinem Jahrgang in der Berufsschule freuen sich eigentlich alle nur noch auf den Abschluss, um dann endlich arbeiten zu können. Für mich ist das allerdings nur der Anfang. Ich brauchte diese sichere Basis einer Ausbildung, um jetzt das zu tun, was ich schon immer geliebt habe und tun wollte. Abitur, studieren, die Welt sehen. Momentan mache ich meine A-levels online an einer Schule in England. Nächstes Jahr werde ich mich in England für einige Universitäten bewerben. Ich glaube, wer einmal Austauschschüler war, wird niemals die Lust nach Abenteuer, Neuem und Kultur stillen können. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, langfristig in Finnland bleiben zu wollen, habe ich den Drang noch etwas anderes zu sehen. England – ich bin bereit.

 

Was gefällt dir am finnischen Leben besonders gut? Gibt es etwas in Deutschland, das du vermisst?

 

Genau einen Monat nach meiner Ankunft in Finnland war ich zum ersten Mal mit meinen neuen Freunden (das Mädchen von meinem ersten Schultag im Deutschkurs) in Helsinki zum Sightseeing und Sushi essen. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie vollkommen glücklich ich an diesem Tag war. Ich fand die Umgebung einfach wahnsinnig schön (Helsinki ist und bleibt eine der schönsten Städte für mich), das Schulsystem war für mich ein großer Pluspunkt in Finnland. Ich kann gar nicht genau beschreiben was es ist, aber es ist einfach das Gefühl, hierher zu gehören.

Neben meiner Familie vermisse ich das deutsche Essen tatsächlich sehr. Lebensmittel und auch eigentlich sonst alles hier ist wahnsinnig teuer, deshalb gibt es immer all meine Lieblingsgerichte, wenn ich auf Deutschlandbesuch bin. Ich glaube ansonsten gibt es nicht viel, was mir hier fehlt.

 

Letzte Frage: Hast du noch einen Tipp für zukünftige Austauschschüler*innen?

 

Macht es einfach! Denkt nicht drüber nach, macht es. Sucht euch ein Land aus, zudem ihr irgendeine Verbindung habt und fliegt los. Denkt daran, dass egal was euch widerfährt, alles seinen Grund hat. Als mich mein Sportlehrer damals mit dem Mädchen mit den pinken Klamotten in ein Team gesteckt hat, fand ich das erst einmal komisch. Unterschiedlicher konnten wir nicht sein – dachte ich. Dass sie es aber sein würde, die mich zur allerersten Party einladen würde, konnte ich nicht wissen.

Außerdem: Wenn ihr wirklich 100% in eurem Gastland ankommen wollt, verbringt so viel Zeit wie möglich mit Einheimischen. In meinem YFU-Jahrgang haben viele unglaublich großartige Freundschaften mit anderen Austauschschülern geschlossen. Und versteht mich hier nicht falsch. YFU hat eine unglaublich tolle Community und ich werde niemals meine VBT vergessen mit den allerbesten Leuten überhaupt, aber um wirklich das Beste aus eurem Austausch rausholen zu können: Verbringt nicht all eure Zeit mit den anderen Austauschschülern. Verbringt Zeit mit eurer Gastfamilie, lernt eure Klassenkameraden kennen, plant Dinge mit ihnen und schafft einfach die allerbesten Erinnerungen.

 

Danke für das Interview, Nicole, und alles Gute!

 

Zum ersten Mal in Helsinki

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Bereit für Wanhat, den Abschlussball in Finnland

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Nicoles Lukio, die finnische Schule

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Blick auf Helsinki

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Finnland hat unzählige schöne Seenlandschaften

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