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YFU-Blog

Aktuelles aus Verein und Austauschwelt

Populismus und Polarisierung: Konsequenzen für den Jugendaustausch. Ein Gastbeitrag von Knut Möller

5. Juni 2024

Einmal im Jahr treffen sich Vertreter*innen der Organisationen, die langfristige Austauschprogramme veranstalten, um sich zu vernetzen und aktuelle, für die Szene relevante Themen aufzugreifen. So zuletzt am 15. und 16. Mai 2024 im „BaseCamp zu Auslandsaufenthalten“ in Bonn, auf dem ich als Vertreter des AJA (Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch) dabei sein und gemeinsam mit vielen Kolleg*innen das Programm mitgestalten durfte. Dass dieses – wieder einmal – fast ausschließlich von Vertreter*innen des gemeinnützigen Jugendaustauschs getragen wurde, hat den grundsätzlichen Unterschied zwischen den kommerziellen Anbietern der Programme und den sich auf das Engagement ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen stützenden gemeinnützigen Vereinen erneut anschaulich werden lassen. Auffällig war zudem, dass bei den Beiträgen zu der Konferenz politische Themen dominierten. Für mich ein klares Zeichen, dass die Zivilgesellschaft in unserem Land sich der aktuellen Herausforderungen und der Angriffe auf die Demokratie – von innen und von außen - bewusst ist. Sie ist aufgewacht und sie reagiert.

 

Neben der Darstellung und der Diskussion der Trends im Langfristigen Jugendaustausch gab es bei der Konferenz Präsentationen zu den folgenden Themen: Female Leadership, Nachhaltigkeit, Mentale Gesundheit, KI als Chance, Einbeziehung bisher nicht erreichter Zielgruppen sowie der von mir vorbereitete Beitrag zum Thema Populismus und Polarisierung als Herausforderung für den Jugendaustausch.

 

Wie politisch sollen Austauschprogramme sein?

 

Das rauer gewordene gesellschaftliche Klima in Deutschland und in vielen anderen Ländern betrifft auch die Arbeit von Austauschorganisationen. Und diese können einen besonderen Beitrag leisten: In unseren Programmen lässt sich lernen, dass es möglich ist, Menschen mit anderen Werten und einer anderen kulturellen Prägung zu verstehen und sich mit ihnen zu verständigen. Wir haben die Verantwortung, dieses Potential zu mobilisieren und die Lernchancen allen Jugendlichen zugänglich zu machen. Das trifft vor allem auf Akteure des langfristigen, individuellen Schüleraustauschs zu, der als ein Projekt der Politischen Bildung ins Leben gerufen wurde. Die einjährigen Austauschprogramme sind in der Nachkriegszeit entwickelt worden, weil damit ein politisches Ziel verfolgt wurde: Re-Education – Überwindung der Nazi-Diktatur und der faschistischen Ideologie, Demokratisierung Deutschlands. Die Entsendung von Austauschschüler*innen in die USA, um dort die Demokratie und die demokratischen Werte kennen zu lernen, ist aber schwerlich noch zeitgemäß. Eine Definition, welche Ziele und welche Inhalte die Politische Bildung im Rahmen unserer Programme heutzutage haben soll, steht aus.

 

Die Lernchancen im Jugend- und Schüleraustausch sind immens. Diese gibt es – wie in der „Fürstenrieder Erklärung“ dargestellt – in dreierlei Hinsicht: Erstens gibt es die Individuelle Dimension – Teilnehmende erweitern ihren Horizont, verlassen ihren Komfortzone und erfahren die eigene Stärke; sie werden selbstständiger und erwachsener. Zweitens die Soziale Dimension: Teilnehmende von Austauschprogrammen lernen, Verantwortung für sich und für Andere zu übernehmen. Und schließlich die politische Dimension: Austauschschüler*innen erfahren, dass alles auch anders sein kann, dass sie Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung haben. Die Motivation der Austauschschüler*innen und ihrer Eltern zur Teilnahme muss dabei nicht unbedingt mit der der Trägerorganisationen übereinstimmen. Es ist völlig in Ordnung, wenn Jugendliche nicht wegen ihrer politischen Bildung für ein Jahr ins Ausland gehen wollen. Die Träger des Jugend- und Schüleraustausches müssen aber ein klares Verständnis der Ziele ihrer Arbeit – ihrer Mission – haben und eine konkrete Vorstellung, wie die Ziele durch die Gestaltung der Programme erreicht werden sollen.

 

Politische Bildung muss auch transnational sein.

 

Das Bewusstsein wird stärker, dass die demokratische Ordnung unserer Gesellschaft nicht selbstverständlich ist und verteidigt werden muss. Als Austauschorganisationen haben wir die Verantwortung, die dritte, die politische Dimension der Lernchancen zu betonen, die unsere Programme bieten. Wir wollen demokratische Werte vermitteln und bürgerschaftliches Engagement stärken.

 

Darüber herrscht zumindest unter den im AJA verbundenen, gemeinnützigen Austauschorganisationen Einigkeit. Auffällig ist aber, dass der Dialog über die politische Dimension unserer Austauschprogramme bisher kaum mit unseren Partnern in anderen Ländern stattfindet. Das ist aus drei Gründen beklagenswert: Erstens ist es paradox, dass international operierende Austauschorganisationen einen Diskurs über die politischen Aspekte der Arbeit nur im nationalen Rahmen führen. Angesichts der großen Probleme der Menschheit, die nur auf globaler Ebene zu lösen sind, braucht es zudem dringend einen globalen Diskurs und eine Handlungsfähigkeit der globalen Institutionen. Austauschorganisationen sind prädestiniert, hier einen Beitrag zu leisten. Und drittens müssen wir uns mit unseren Kolleg*innen in unseren Partnerländern auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen, wenn die Bildungsarbeit im Rahmen unserer Programme auf der Höhe der Zeit sein soll.

 

Dabei stoßen wir jedoch immer wieder auf Hürden: Vertreter*innen aus bestimmten Ländern – vor allem auch aus den USA – verlangen zum Beispiel, dass Austauschorganisationen unpolitisch sein sollen. Eine zusätzliche Schwierigkeit ist der Mangel an einer überzeugenden Terminologie: Schon im nationalen Diskurs in deutscher Sprache ist es schwierig, sich auf Begriffe zu verständigen, die unsere Bildungsziele präzise wiedergeben. Es hat sich herausgestellt, dass dies vor dem Hintergrund der Skepsis der Kolleg*innen in anderen Ländern, die Organisation als politisch zu verstehen, umso schwieriger ist. Viele von uns in deutscher Sprache formulierten Bildungsziele lassen sich kaum oder nur sehr schwer ins Englische übersetzen. Darüber hinaus können und wollen bestimmte Partnerorganisationen, die in (eher) autoritär regierten Staaten operieren müssen, nicht mit dem Demokratie-Begriff auftreten. Für die Vertreter der westlichen Länder ist es hingegen keine Option, die Werte der Demokratie und der Aufklärung aufzugeben. Und schließlich fühlen sich eher konservative Kolleg*innen von einem allzu „woken“ Auftreten und einem als übertrieben progressiv wahrgenommenen Vokabular „getriggert“, und es werden jene in unnötiger Weise abgeschreckt, die unpolitisch sind oder unpolitisch sein wollen. (Dies gilt auch für den Diskurs bei uns in Deutschland.)

 

Verständnis, Verständigung und Verantwortung

 

Die Listen der Lern- und Bildungsziele, die auf den Websites und in den Materialien der Austausch­organisationen zu finden sind, sind lang, vielfältig und etwas unübersichtlich. Hier soll keine systematische und umfassende Darstellung vorgelegt werden, sondern lediglich ein Vorschlag für eine möglichst kurze, einfache, leicht verständliche Zusammenfassung der Ziele auf der dritten Ebene der Bildungsziele gegeben werden.

 

In aller Kürze: Politische Bildung fördert Verständnis, Verständigung und Verantwortung – oder, für den transnationalen Kontext, in englischer Sprache – Civic Education – Understanding and Responsibility.

 

Da die Wirklichkeit der Politischen Bildung im Rahmen der Langfristigen Austauschprogramme weit vom Ideal entfernt ist, muss mit kleinen Schritten begonnen werden. Ein Anfang könnte eine engere Kooperation der Austauschorganisationen sein. Wir wissen, dass sich die Bildungswirkung der Austauschprogramme nicht von selbst einstellt. Und dies gilt vor allem im Hinblick auf die dritte beschriebene Dimension, für die Ziele im Bereich der Politischen Bildung. Ein reflektierter Umgang mit den während eines Austauschprogramms erworbenen Erfahrungen muss durch begleitende pädagogische Settings ermöglicht werden. Dafür braucht es vor allem kontinuierlich weiter zu entwickelnde Konzepte, einschlägig geschulte Mitarbeiter*innen und die Bereitschaft der Träger, den Organisationsaufwand zu treiben und die Finanzierung des begleitenden Seminarprogramm sicherzustellen.

 

Es wäre naheliegend, dass die Anbieter langfristiger Austauschprogramme, die die Politische Bildung als eines ihrer Ziele verfolgen, diesbezüglich zusammenarbeiten. Es ist verblüffend und enttäuschend – aber auch bezeichnend –, dass es diesbezüglich bisher keine Ansätze gibt. Durch eine solche Kooperation würden den Organisationen, die sich beteiligen, keine Nachteile gegenüber der Konkurrenz entstehen, die Branche würde einem dringend benötigten gesellschaftlichen Bedarf entsprechen und zudem ihr Image weiter verbessern.

 

Die acht im AJA verbundenen, gemeinnützigen Organisationen und die Kolleg*innen im Berliner Büro des AJA sind entschlossen, den Stellenwert der Politischen Bildung im Rahmen ihrer Programme zu erhöhen. Dabei wollen wir auch mit den Vertreter*innen des Schulischen Austausches (Schüleraustausch), den Anbietern von kurzfristigen Austauschprogrammen und Internationalen Jugendbegegnungen (Jugendaustausch) sowie mit den Kolleg*innen aus dem Bereich der Politischen Bildung kooperieren.

 

 

Knut Möller, Sen. Advisor beim Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch (AJA) und ehemaliger YFU-Geschäftsführer

Knut Möller, Sen. Advisor beim Arbeitskreis gemeinnütziger Jugendaustausch (AJA) und ehemaliger YFU-Geschäftsführer

Experte für Schüleraustausch Knut Möller