“Mein Auslandsjahr war so toll, ich wollte gar nicht heim“, “Ich habe so viel über mich selbst gelernt”, “Ich hatte das beste Jahr meines Lebens”. Das war es, was ehemalige Austauschschüler mir letztes Jahr erzählt haben. Sie haben davon geschwärmt, wie toll alles doch war, welch wichtige Erfahrungen sie gemacht haben und wie sehr es ihnen für ihre Zukunft geholfen hat. Ich war schwer beeindruckt und wollte dieses Abenteuer selber wagen. Ich habe mich also für Stipendien beworben und obwohl die Chance gering war eins zu bekommen, nicht aufgegeben. Im März habe ich dann das PPP Vollstipendium bekommen und mein Traum nahm Gestalt an.
Eine Farm „in the middle of nowhere"
Ende August habe ich meine Gastfamilie bekommen und war glücklich, aber auch total geschockt: Es sollte nach Minnesota auf eine Schweinefarm gehen. Ich wusste nicht so recht, was mich als "Farmerkind" erwarten würde und war etwas nervös, als es dann am 23.08. losging. Der Abschied am Flughafen von meiner Familie war sehr schwer und ich habe viel geweint. Rückblickend würde ich sagen, es war der schwerste Tag im ganzen Auslandsjahr.
Nach einem langen Flug kam ich dann endlich in Minnesota an und habe das erste Mal meine Gastfamilie gesehen. Sie hatten ein Schild für mich mit "Welcome in the US, Chiara!" und haben mich schon von weitem angestrahlt. Sie waren mir total sympathisch und ich habe mich auf Anhieb wohl gefühlt.
Ich habe mir vor meinem Abflug total viele Gedanken gemacht: Was ist, wenn meine Gastgeschwister mich nicht mögen? Wie ist es auf einer Farm zu leben? Werde ich mit dem Landleben zurechtkommen? Ich mache euch nichts vor: Ein Auslandsjahr auf einer Farm war nicht mein Traum und ich hatte mir etwas anderes vorgestellt. Doch es hat sich schnell rausgestellt, dass alle meine Sorgen unbegründet waren. In dem Jahr hier habe ich gelernt, dass man Dinge akzeptieren muss wie sie sind und es an mir selber liegt das Beste daraus zu machen.
Meine Gastfamilie hat mich vom ersten Tag an mit offenen Armen in die Familie aufgenommen und das Landleben hat mir auch schnell gefallen. Ich wohne zwar "in the middle of nowhere" und mein nächster Nachbar wohnt ca. 10 Minuten entfernt, aber die Landschaft ist einfach nur toll. Überall sind Felder, Seen und es ist sehr idyllisch. Natürlich habe ich das Landleben vor allem im Winter oft verflucht, aber anstatt über alles zu jammern, habe ich versucht das Positive in dem kältesten Winter seit 30 Jahren zu finden – und habe es auch geschafft.
Gute Zeiten und schlechte Zeiten
Viele sagen mir, ich bin mutig, weil ich mich auf dieses Abenteuer einlasse. Ich finde eher meine Gastfamilie sind die mutigen Leute, weil sie einen fremden Schüler aufnehmen, der ihren Alltag ziemlich auf den Kopf stellt. Meine Gastfamilie sehe ich mittlerweile als meine zweite Familie an und wir haben eine gute Beziehung zueinander. Mein Gastvater ist während meines Jahres leider verstorben, aber das hat uns nur noch mehr als Familie zusammen geschweißt und mich stärker gemacht.
Die ersten Tage hier hatte ich viel Heimweh. Ich dachte das Jahr ist unendlich lang und es war einfach komisch zu wissen, dass man so weit von seiner Familie entfernt ist. Ehemalige Austauschschüler meinten es war das Jahr ihres Lebens und sie wollten gar nicht heim. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Ahnung von was sie geredet haben, denn ich wollte am liebsten den ersten Flug nach Hause nehmen. Diese Phase ging allerdings schnell vorüber, als die Schule anfing und ich mich an den amerikanischen Alltag gewöhnt hatte. Ich fing an meine Zeit hier zu genießen und alles wurde einfacher.
Trotzdem ist es nicht immer einfach Austauschschüler zu sein. Am Anfang war es hart, wenn ich etwas in Englisch sagen wollte, aber die Vokabeln nicht wusste. Außerdem hatte ich erwartet wir Austauschschüler würden in der Schule herzlich aufgenommen werden, aber dem war nicht immer so. Die meisten kannten sich schon seit dem Kindergarten und hatten ihre festen Cliquen. Es lag an uns auf die Leute zu zugehen und nicht zu erwarten, dass sie auf uns zu stürmen und uns sofort überallhin einladen. So habe ich also versucht mit jedem zu reden, auch wenn ich auf manche nicht unbedingt in Deutschland zugegangen wäre. Mit der Zeit habe ich eine Hand voll gute Freunde gefunden, die übrigens sehr unterschiedlich verglichen zu meinen deutschen Freunden sind, und weiß sie sehr zu schätzen.
Vielen Dank, YFU!
Doch trotz toller Freunde und Familie, habe ich mich manchmal alleine und wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt. Ich habe mich gefragt, was meine Familie in Deutschland gerade macht und an Tagen wie zum Beispiel meinem Geburtstag wünschte ich zu Hause zu sein. Aber ich hatte auch unbeschreiblich tolle Tage und Momente hier. Ich wollte die USA nicht als Tourist erleben, sondern ein Teil von den Staaten sein. Ich wollte einfach etwas komplett anderes erleben und dass habe ich definitiv. Es ist nicht nur, dass ich mein Englisch verbessert und die amerikanischen Traditionen und Kultur kennengelernt habe. Ich habe auch gelernt mich anzupassen und Menschen als Menschen und nicht als Stereotypen zu sehen.
Ich bin in dem Jahr hier reifer geworden und sehe viele Dinge nun aus einer anderen Perspektive. Ich habe einfach unglaublich viel über mich selber gelernt und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Erfahrungen, die ich hier gemacht habe, mir für die Zukunft helfen werden. In 3 Wochen ist mein Abenteuer vorbei und es macht mich auf der einen Seite sehr traurig, aber auf der anderen Seite auch stolz, dass ich es geschafft habe. Ich würde nichts in meinem Jahr ändern wollen und bin total zufrieden damit, wie alles verlaufen ist. Vielen Dank YFU für die tolle Unterstützung vor und während des Jahres!