Bis zum Tag meines Abflugs konnte ich es eigentlich noch gar nicht wirklich realisieren, dass ich ein Jahr in Uruguay leben werden, das schien noch so unendlich ungreifbar fern und der Gedanke so fremd. Auch beim Abschied auf dem Flughafen in Tegel von all meinen Lieben konnte ich es immer noch nicht fassen, es war wie ein Abschied für 2, 3 Wochen, aber keinesfalls für ein ganzes Jahr! Der Flug durch Zeit und Raum und vor allem durch die Nacht war traumhaft schön und die Sternschnuppen, die an unserem Flugzeug vorbeiflogen, besonders. Aber all diese Momente sind ein Stück Staub gegen die zauberhaften Erfahrungen, die ein jeder Austauschschüler in Uruguay sammeln kann! In diesem unbekannten Stückchen Erde, voller Kultur, Kraft und Schönheit.
Herzlichkeit, die zu Tränen rührt
Ziemlich europäisch sehen viele Uruguayer aus und am Anfang war ich zugegeben fast ein bisschen enttäuscht, denn es nahm mir die Vorstellung der südländischen „anderen“ Menschen. Aber schon bald merkte ich, wie unterschiedlich unsere Kulturen doch sind und dass es einen jeden Austauschschüler doch in einigen Momenten viel Kraft kosten kann, sich anzupassen und die Vorstellung und Einstellung dieser Latinos zu verstehen. Die Uruguayer sind sehr offene und liebenswerte Menschen, sodass es gar nicht lang dauerte und ich fühlte mich aufgenommen und integriert. Die Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit, die sie einem schenken, hat mich oft und besonders anfangs zu Tränen gerührt.
Meine erste Gastfamilie lebte in Fray Bentos, eine im zweiten Weltkrieg sehr bedeutende Stadt, aufgrund ihrer Lage am Río Uruguay. Ich lebte ungefähr 10 km von der Stadt entfernt auf dem Land, dort baut meine Familie selber Gemüse und Obst an, natürlich haben sie viele Hunde und auch ein Pferd. Das Haus meiner Großeltern liegt auf dem angrenzenden Grundstück und mindestens jedes Wochenende gingen wir auf ein paar Mate zu ihnen rüber, um zu plaudern. Das Leben in Fray Bentos ist sehr ruhig, es passiert nicht viel und die Stadt hat nach deutschem Maße auch nicht so viele Spektakel zu bieten, und deshalb liegt der Schwerpunkt natürlich auf der Gemeinschaft. So bildet die Rambla, also die Promenade, als große Straße entlang des Flusses den zentralen Treffpunkt für Menschen jeden Alters, um sich auszutauschen, zu scherzen, sich sehen zu lassen und gesehen zu werden und das alles natürlich immer begleitet von Mate und Cumbia!
Musik, überall Musik!
Musik spielt in Uruguay eine bedeutend große Rolle; die Uruguayos hören sie nicht nur, sie leben sie!
Neben dem elektrisch angehauchten Cumbia, das in ganz Lateinamerika besonders von den Jugendlichen und in den Clubs gern gehört wird, ist Uruguay bekannt für Folklore und besonders für Murga. Das ist eine Art Sprechgesang, der besonders zum Carneval gehört und von einem Chor von meist 11 Männern gesungen wird. Schon bald riss es auch mich mit und ich lernte den Rhythmus der Candomben zu spüren, das Tanzen und Spielen der Trommeln ging dann von ganz allein. Gerade zur Carneval-Zeit verwandeln sich die schmalen Straßen der Kleinstädte in Lauf- und Tanzflächen für verschiedenste Comparsas (also Gruppen), die ihre lang einstudierten Tänze präsentieren. Das ist nicht nur ein Hör- sondern auch ein Seherlebnis: Ein Gemisch verschiedenster Farben schimmert dann in der abendlichen Dämmerung und der spanische Stimmenteppich gibt dem Wirbel der Candomben dieses ganz besondere Latinoetwas!
Auch schon bald hieß es dann: Feliz Navidad! Weihnachten stand vor der Tür. Also Kerzenschein, Sinnlichkeit, Ente als leckerer Schmaus, Schnee und der Duft nach geschmücktem Weihnachtsbaum! Aber nicht für mich. Weihnachten, das heißt in Uruguay nämlich gar nicht Kälte und Frost, sondern Hitze und Wassermelone. Das heißt Wasserschlacht und Sich-im-Fluss-abkühlen.
Und was soll schon ein echter Baum das Wohnzimmer schmücken, ein Plastikbaum tut’s doch auch.
Hauptsache die Krippe steht im Kamin und es ist für Essen gesorgt. Zu Weihnachten trafen wir uns um 22 Uhr mit der Familie. Nachdem wir einige Fingerfoods zu uns genommen hatten, öffneten wir um Punkt 00:00 Uhr die Geschenke, die überraschenderweise auf einmal im Kamin lagen. Danach gab es ein Feuerwerk und dann wurde gefeiert, getanzt und gelacht.
Vom Land in die Stadt
Im März wechselte ich meine Familie und zog nach Florida, eine Stadt ca. 80 km von Montevideo entfernt, etwas größer und daher viel bewegter und in mancher Hinsicht industrialisierter. Verwundert war ich auf jeden Fall, als ich das erste Mal in einen TaTa, so heißt eine Supermarktkette, ging und komplett andere und viel mehr Ware sah. Es macht also in einem solch kleinen Land wie Uruguay einen großen Unterschied, ob du nun in einer kleinen gemütlichen und sehr urigen Stadt (und davon gibt es glücklicherweise noch viele) lebst oder in einer verhältnismäßig großen. In Florida gibt es gleich mehrere Sportvereine, Fitnessstudios und auch sonst eine größere Auswahl an Freizeiteinrichtungen, wie zum Beispiel die casa de la cultura. Dort bezahlst du einen sehr geringen Monatsbeitrag und kannst verschiedene Workshops, wie zum Beispiel Folklore oder Percussion belegen. Das ist wirklich eine super Sache. Des Weiteren bietet es gerade kulturell interessierten Menschen die Möglichkeit, in die verschiedensten Bereiche der uruguayischen Kultur hineinzublicken. Auch Makrame oder Candombe kann dort erlernt werden.
So ein ganzes Jahr, all die traumhaften Erlebnisse in Worte zu fassen, ist unmöglich! Ich hoffe, euch einen kleinen Einblick in die uruguayische Kultur gegeben haben zu können. Aber das ersetzt natürlich niemals das Privileg, es selbst erfahren zu dürfen und in den Zauber dieses kleinen, und doch von Kultur vollkommen durchdrungenen Landes einzutauchen! Viel Spaß dabei.