icon_meereskunde icon_outdoor-education icon_landwirtschaft_neu

Ein neues Leben ausprobieren

Erfahrungsbericht von Tabea, Austauschjahr in Ungarn

Wir schreiben den 10. August, ich steige um 6.52 Uhr in den Zug nach Frankfurt. Wer geht, der lässt auch etwas zurück, und so fließen die Tränen beim Abschied von meinen Eltern. Von meinen Geschwistern musste ich mich schon in den Tagen davor verabschieden, auch das fiel mir nicht leicht.

 

Doch in Frankfurt angekommen lassen sich die Gefühle der Traurigkeit und Ungewissheit schnell vergessen,  die Vorfreude spüre ich in allen Gliedern. Und als ich dann auch noch auf die anderen Austauschschüler treffe, ist jegliche Traurigkeit vergangen. Der Flug vergeht schnell, eineinhalb Stunden und wir befinden uns auf ungarischem Boden.

 

In den nächsten Tagen geht es mit YFU weiter, das Arrival Camp soll noch einmal die Inhalte der Vorbereitungstagung vertiefen und ganz länderspezifische Themen behandeln. Neben Gruppenarbeiten, Sprachunterricht und Referaten darf natürlich der Spaß nicht fehlen.

 

Und dann kommt das von allen gleichermaßen gefürchtete und herbeigesehnte Treffen mit den Gastfamilien. Also auf in das eigentliche Austauschjahr, auf in ein Leben mit einer bis dahin ziemlich fremden Familie, mit neuen Geschwistern, einem neuen Zimmer, Haustieren, Müsli zum Abendbrot und anderen echt spannenden Dingen.

 

Welcome Home!

Doch vorher muss erstmal der Weg bis in mein Gastdorf zurückgelegt werden, gut 250 km. Im Gegensatz zu den meisten anderen Austauschschülern hat es mich nämlich nicht nach Budapest, sondern in den Nordosten des Landes geführt. Und irgendwann sind wir endlich da, angekommen in meinem neuen Zuhause. Es stellt sich als geräumiges, mehr als 100 Jahre altes Pfarrhaus heraus.

 

Die ersten Tage sind ungewohnt. Alles ist neu und ich bin sehr verunsichert. Zudem nervt es mich, dass ich einfach nicht verstehe, was die Leute um mich herum reden. Ungarisch hört sich wirklich schön an, bestimmt aber noch schöner, wenn man es auch versteht.

 

Leben auf dem Bauernhof

Das Tolle an einem Austauschjahr ist, dass man einfach mal so ein komplett neues Leben ausprobieren kann. So finde ich Stadtkind, das es gewohnt ist, alles was es braucht bequem mit dem Fahrrad erreichen zu können, mich auf dem Dorf wieder. Spannend und nicht immer besonders erquicklich sind natürlich die Tiere, zum Hausstand gehören Hühner, Enten, Gänse, Truthähne, Schafe, Bienen, Katzen und Hunde. Die Eier werden je nach Bedarf mal eben aus dem Stall geholt und die Milch kommt aus dem Nachbardorf und ist noch warm wenn wir sie holen. Schmeckt  alles übrigens auch viel besser als Supermarktprodukte.

 

Das ungarische Essen ist aber sowieso eine Sparte für sich. Tatsache ist, dass ich einiges wirklich schon zu lieben gelernt habe, palacsinta (Palatschinken), lángos (in Öl gebackener Teigfladen bestrichen mit Knoblauch und saurer Sahne), töltött káposzta (mit Hackfleisch gefüllter Kohl) und natürlich túró rudi, ein mit Quark gefüllter Schokoriegel.

 

Der Ernst des Lebens

Seit meiner Einschulung in Deutschland habe ich wahrscheinlich noch nie so auf die Schule hingefiebert. Endlich ist es soweit, ich fahre mit dem Zug in die Schule (noch so eine Sache, die das Dorfleben mit sich zieht), bin ordnungsgemäß gekleidet mit weißem T-Shirt und schwarzem Rock und stelle dann aber fest, dass ich trotzdem auffalle. Denn alle Mädchen müssen einen schwarzen Rock und eine Matrosenbluse tragen, die Jungs kommen im Anzug. Und als dann noch bei der Schülervollversammlung die ungarische Nationalhymne gesungen wird, fühle ich mich vollkommen in ein anderes Jahrhundert zurückversetzt.

 

Dennoch bin ich wirklich gespannt auf den Schulalltag und das Kennenlernen neuer Leute. Einen Sitzplatz bekomme ich direkt in der ersten Stunde verpasst, die Mädels reißen sich förmlich darum, dass ich neben ihnen sitze. Jedoch verstehe ich nicht besonders viel von dem, was sie sagen. Ein Hoch auf die internationale Kommunikationssprache Englisch.

 

Meine Klassenkameraden haben als Hauptnachmittagstätigkeit Lernen auf ihrem Plan stehen. Die Schüler lernen enorm viel, durch die Prüfungen zu kommen ist das Ziel, wobei ich mich manchmal frage, wo das sprichwörtliche „Lernen fürs Leben” bleibt. Und nie hätte ich gedacht, dass ich Gruppenarbeiten in der Schule so vermissen würde, hier wo der Lehrer den Raum betritt, 45 Minuten redet und mit dem Klingelzeichen den Raum wieder verlässt.

 

Vor dem Austauschjahr wurde uns eingetrichtert, jede Freizeitaktivität, jedes Angebot anzunehmen. Und da ich an den Nachmittagen sowieso nichts zu tun habe, gehe ich zum Malzirkel, zur Volleyball-AG, zum Chor, zur Englisch-AG und zum Begabtenprogramm (keiner weiß, warum es Begabtenprogramm heißt, eigentlich machen wir nur psychologische Spiele, diskutieren und haben manchmal an Wochenenden auch noch Veranstaltungen). Dabei habe ich schon einige Leute näher kennengelernt und auch Freundschaften geschlossen.

 

megszentségteleníthetetlenségeskedéseitekért

Die ungarische Sprache ist nicht leicht. Mag wohl auch daran liegen, dass sie so gut wie gar keine Parallelen zur deutschen Sprache und dafür jede Menge Suffixe besitzt. Mimik und Gestik sind neuerdings meine liebsten Begleiter, ich wette, ich würde jetzt jedes Activity-Spiel gewinnen.

 

Mittlerweile kann ich aber auf Deutsch oder Englisch als Hilfssprache verzichten und denke, dass ich schon ganz zufrieden mit dem Stand meiner Sprachkenntnisse sein kann.   

 

 

Ungarn sind seltsam, aber liebenswert

Ich treffe auf viele neue Menschen hier. Zuallererst gibt es da natürlich meine Gastfamilie, die ich sehr gerne mag. Außerdem kocht meine Gastmutter wirklich gerne und gut und ist auch gerne damit beschäftigt, mir Essen anzubieten. Ich glaube, das ist schon mal ein typischer ungarischer Charakterzug: Großartige Gastfreundschaft und die Fähigkeit, köstliches Essen herzustellen.

 

Auch typisch Ungarisch: Ungarische Männer und Jungen sind höflich. Das geht bei Türaufhalten und Frauen den Vortritt lassen los, am ersten Tag in der Schule wurde ich sogar nach meinen Lieblingsblumen gefragt. Ich wette, dass ich irgendwann mal Blumen geschenkt bekomme, zum Geburts- oder Namenstag vielleicht.

 

Da fällt mir auf: Eigentlich habe ich keinen wirklichen Namenstag, jedenfalls wüsste ich nichts davon. Da das für Ungarn natürlich unmöglich ist, keinen Namenstag zu haben, datiert meine Freundin ihn auf den 7.Mai. Der Grund? Naja, die Bedeutung meines Namens – Gazelle – klingt so ähnlich wie der Name Gizella, welchen man eben am 7.Mai feiert. Ich finde ihren Lösungsansatz sehr kreativ.

Tabeas Gastfamilie

Tabeas Gastfamilie

Tabea mit ihren Freundinnen

Tabea mit ihren Freundinnen

Tabea mit ihrer Schulklasse

Tabea mit ihrer Schulklasse