„Hey, ich fahr nächstes Jahr in die Türkei für ‘n Jahr!” – „Türkei? Ha’m wir hier in Berlin auch.” So oder ähnlich waren wohl die meisten Reaktionen auf meinen Entschluss, mein Austauschjahr in der Türkei zu verbringen, auch hier habe ich ab und zu Sätze wie „Du bist doch eh aus der Türkei in die Türkei gekommen” gehört. Aber die Menschen in der Türkei und die türkische Kultur im Alltag kennenzulernen, ist eine Erfahrung, die man eben an keinem anderen Ort außer der Türkei machen kann.
Die ersten drei Wochen unseres Austauschjahres haben wir einen Sprachkurs gemacht, was wirklich hilfreich war, um einen Einstieg in die türkische Sprache zu finden. Interessant sind die vielen Redewendungen und Alltags-Floskeln des Türkischen, man wünscht sich z.B. nach einem Friseurbesuch, nach der Rasur oder der Dusche Gesundheit („Sihhatler olsun“), nach einem Niesen dafür ein langes bzw. gutes Leben („Çok yaşa“ / „İyi yaşa“). Türkisch ist zwar schwer, vor allem dadurch, dass es eine ganz andere Sprachenfamilie ist, aber zumindest mussten wir kein völlig neues Alphabet lernen.
Die ganze Klasse hilft
Im heutigen Bildungssystem gibt es vor allem einen Unterschied zwischen privaten und staatlichen Schulen. Bevorzugte Schulen sind Privatschulen, sie haben in der Regel mehr Mittel und bessere Ausstattungen als staatliche, meine Schule zum Beispiel hat sogar einen eigenen Pool für Schwimmkurse. Aber auch staatliche Schulen sind nicht zwangsweise schlecht, vor allem am „Anadolu Lisesi“ ist es sehr interessant, weil alle Schüler versuchen durch eine Aufnahmeprüfung aufgenommen zu werden und so alle „Gesellschafts-Schichten“ der Türkei vertreten sind. Uniformen sind übrigens in allen Schulen Pflicht, eine ungewohnte Sache, aber eigentlich kein Problem, nach einer Weile fand ich sie sogar angenehm.
Lernen und zur Schule gehen hieß für mich vor allem erst einmal mehr Arbeiten und mehr Lernen, denn das Niveau gerade in Naturwissenschaften und Mathe ist doch höher als an meiner Schule in Berlin, aber als ich nachgefragt habe, hat mir die ganze Klasse – wie die türkische, hilfsbereite Art nun mal ist – alles noch einmal auf Englisch erklärt, jeder so gut wie er konnte. Aber mittlerweile verstehe ich den Unterricht auch fast ohne Wörterbuch und Hilfe, es war für mich echt erstaunlich, wie ich Türkisch gelernt habe, ohne nach den drei Wochen Kurs wirklich zu arbeiten, aber man sollte wirklich früh anfangen, Türkisch zu reden und öfters mal nachzufragen, worüber denn eigentlich gerade geredet wird.
Jungs spielen Basketball, Mädchen tanzen
Aber ein Austauschjahr ist natürlich mehr als zur Schule gehen und eine Sprache lernen. Sehr wichtig ist für mich das Leben und Zusammenleben mit meiner Gastfamilie, mit ihr habe ich nicht nur mein Austauschjahr angefangen und einen Einstieg in die vielfältige türkische Kultur gefunden, sondern lebe das ganze Jahr mit ihnen zusammen, gehe mit zu Familienessen, fahre mit in Urlaub und tue eigentlich alles genauso wie ich es als Türke in dieser Familie gemacht hätte.
Das Alltagsleben der Türken unterscheidet sich eigentlich nicht besonders von dem eines Deutschen, Jungs spielen Basketball oder Fußball, Mädchen gehen zum Tanzkurs oder machen anderen Sport, Musikinstrumente können auch viele spielen. Viele Schüler, vor allem in den Abschlussklassen 9 und 12, besuchen auch eine „Dershane“, eine Art Nachmittagsschule, die helfen soll, die staatlichen Prüfungen zu bestehen. Am Wochenende trifft man sich dann aber mit Freunden, geht in Cafés, Kino oder sonst irgendwohin, eigentlich wie in Deutschland auch. Eine Eigenschaft meiner Gastfamilie ist auch, dass wir fast jeden Samstag- und Sonntagabend zusammen essen, mit Onkeln, Tanten, Cousinen und Großeltern, das ist zwar keine „Pflicht“ für mich, aber trotzdem immer wieder schön, zusammen Spiele zu spielen, Fußball zu gucken oder auch Filme zu sehen.
Die beste Küche der Welt
Die türkische Küche ist wirklich die beste auf der Welt, zumindest der Welt, die ich bisher gesehen habe. Auch wenn sie ein bisschen fettig und reichhaltig ist, ist sie doch sehr, sehr gut und beinhaltet so viel mehr als nur Döner oder das, was man in Deutschland kennt. Eine weitere Eigenart der Türken ist, dass sie unglaublich viel Kaffee und Tee trinken. Dabei noch eine Runde „Tavla“ (Backgammon) oder „Okey“, und der Nachmittag ist gemütlich und vor allem echt türkisch.
Ein Jahr ins Ausland zu gehen, war mit Sicherheit das Beste, was ich in diesem Jahr hätte machen können, und die Entscheidung, in die Türkei zu gehen, hat mir viele Einblicke in eine sehr interessante Kultur gegeben und ich bin sicher, die Türkei als 2. Heimat werde ich niemals vergessen.