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Wie die Zeit zu fliegen begann

Erfahrungsbericht von Lena, Austauschjahr in Südafrika

Gestern waren es 100 Tage. 100 Tage Austauschjahr. 100 Tage Südafrika. 100 Tage, die so schnell vergangen sind - 100 Tage, in denen so viel passiert ist.


Ich lebe hier in Centurion bei Pretoria in einem netten Häuschen mit Garten. Mein Zimmer hat alles was es braucht und die Wände sind zugekleistert mit Fotos und Briefen. Ich fühle mich pudelwohl. Schon am Tag meiner Ankunft sagte meine Gastmutter zu mir: "A home is there to relax and do what you want." Und so ist es auch. Man sagt, das Zuhause ist dort, wo das Herz ist, und so habe ich nun plötzlich zwei Zuhause – meilenweit voneinander entfernt und das ist eine wunderbare Erfahrung.  Ich wohne hier mit meinen Gasteltern, der Schwester meiner Gastmutter, zwei Hunden und zwei Spinnen und gemeinsam bilden wir eine Art kleine Familien-WG. Apropos Familie: Familie hat in Südafrika einen sehr hohen Stellenwert. An den Wochenenden besuchen wir oft Verwandte zur "Kuier", d.h. zusammensitzen, grillen (Braai) und erzählen. Manchmal kommen bis zu 20 Leute - vom Kleinkind bis zur Uroma.

 

Mein Schulalltag

Unter der Woche geht's natürlich in die Schule, die vollkommen verschieden zu einer deutschen Schule ist. Man hat nur sieben Fächer von denen, neben den 4 Pflichtfächern Afrikaans, Mathematik (eingeteilt in einfach und schwer), Englisch und Lebensorientierung (dort werden vor allem soziale Themen behandelt), drei frei gewählt werden können. Das Fächerangebot ist sehr weitreichend, so gibt es Unterrichtsstunden in Mechanik, in denen an echten Maschinen gearbeitet wird, Technisches Zeichnen, Tourismus, Tanzen, Drama und noch vieles mehr! In den meisten Fächern wird sehr viel Praktisches gemacht, so müssen wir beispielsweise für unsere Noten in Drama einen Monolog aufführen und einen Film drehen oder im Fach Verbraucherstudien verschiedene Gerichte kochen. So macht das Lernen richtig Spaß! Nun, da in meiner Schule auf Afrikaans unterrichtet wird, habe ich zunächst überhaupt nichts verstanden, was zu einigen Missverständnissen führte - ganz nach dem Motto: "Wie geht's dir?" – "Ja!". Aber mit der Zeit wurde das immer besser und so fällt mir inzwischen der Unterricht z.B. in Mathematik auf Afrikaans schon leichter als auf Englisch. Da ich auf eine christliche Schule gehe, wird dort auch 2-3 mal täglich gebetet.

 

Neue Erfahrungen

Religion spielt hier im Allgemeinen eine große Rolle. So besuche ich jede Woche mit einer Freundin die "Plantasie", eine Art Jugendgottesdienst auf Afrikaans. Dort tanzen wir zusammen, singen Jesus-Songs, beten, denken nach und meistens lauschen wir einem Gastredner. Es ist großartig zu sehen, wie hunderte Jugendliche – vom Mauerblümchen bis zum Punk – gemeinsam so eine große Freude an der Religion haben! Auch der erste Kirchenbesuch mit meiner Gastfamilie war ein total neues Erlebnis. Unsere Kirche hier ist recht gemütlich eingerichtet und die Innenausstattung entspricht eher einem modernen Hörsaal an der Uni. Der Pastor trägt gewöhnliche Klamotten, vom saloppen Anzug bis zur Lederjacke und der Gottesdienst beginnt immer mit einem Video, das die Neuigkeiten der Woche vorstellt. Die Gemeinde hat eine eigene kleine Band aus Freiwilligen, die für Stimmung sorgt und dank moderner Powerpoint-Präsentationen kann jeder kräftig mitsingen! Von dieser Begeisterung hab ich mich natürlich mitreißen lassen und so trage auch ich stolz mein "Wat sal Jesus doen" (Was würde Jesus tun)- Band aus dem Kirchenshop.

 

Weihnachten im Bikini

Es ist jetzt November und es wird hier stetig wärmer! Allein die fünf Minuten Fußmarsch von der Schule zum Büro meiner Gastmutter machen mich schon unheimlich durstig und ich genieße den Sommeranfang größtenteils im kühlen Haus, weil die Hitze mich bereits nach 10 Minuten aus dem Garten vertreibt. Bald ist mein Geburtstag und ich kann es noch immer nicht glauben, dass es an diesem Tag zum ersten Mal nicht regnerisch, kalt und hässlich grau sein wird, wie in Deutschland, sondern ich stattdessen sonnig warmes Badewetter genießen kann. Seit Oktober sind die Läden mit Weihnachtsschmuck dekoriert und überall ist "Christmas-Sale". Jedoch Weihnachten im Sommer, ohne Schnee weit und breit, im Bikini anstatt im Winterkleid? – definitiv eine ungewohnte und neue Erfahrung!


Das erinnert mich auch an ein Vorkommnis ganz am Anfang meines Austauschjahres. Ich war gerade erst eine Woche in meiner Gastfamilie und lag auf dem Sofa um ein Video anzusehen, als plötzlich meine Gastmutter angelaufen kam und ganz aufgeregt meinte: "Lena! Lena! It's snowing!!!! Look, look! It's snowing!" Und tatsächlich, ein paar weiße Flocken segelten vom Himmel. Von dem „Wunder" war zwar nach 30 Minuten nichts mehr zu sehen, doch die Leute sprachen noch wochenlang von dem Ereignis. In der Schule wurden Fotos herumgezeigt, Kinder blieben auf Grund der "großen Kälte" vom Unterricht fern und mir dankte man scherzhaft für das große Geschenk aus Deutschland! Als ich dann von Tiefschneefahrten und ganzjährig verschneiten Gletschern erzählte, kamen meine Mitschüler und Freunde aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Menschen in Pretoria hatten nach etlichen Jahren zum ersten Mal wieder Schnee gesehen und so habe ich schnell gelernt, dass – so selbstverständlich, ja sogar unbedeutend Schnee für uns in Deutschland auch sein mag - hier in Südafrika rechnet man ihn schon fast zu den sieben Weltwundern!!

 

Lena in ihrer Schuluniform bei ihrer Gastoma

Lena in ihrer Schuluniform bei ihrer Gastoma

Lena mit ihrer südafrikanischen Gastfamilie

Lena mit ihrer südafrikanischen Gastfamilie