Seit dem 10. September, heute exakt zwei Monate, lebe ich nun mit meinen Gasteltern und einem kleinen Gastbruder in Pioz, Guadalajara, einem Ort ca. 40 Minuten von Madrid entfernt. Empfangen haben mich meine Gastfamilie und meine YFU-Betreuerin nach meiner Ankunft in Madrid am Flughafen und wir sind nach einem kurzen Kennlerngespräch direkt nach Hause gefahren. Der erste Abend war richtig klischeemäßig spanisch: bis zwei Uhr nachts saßen wir draußen, aßen Tapas und spanisches Fingerfood und machten uns an die ersten Konversationsversuche. Und auch wenn es nur ein Abend war, wusste ich bereits, dass ich es auf jeden Fall mit der Gastfamilie absolut perfekt getroffen hatte.
¿Hablas español?
Meine erste Woche in Spanien war mit meiner Anmeldung in der Schule und im Einwohnermeldeamt, zwei Konzerten auf den Fiestas von Guadalajara, einem ersten Besuch im Centro Commercial und einem Tag in Madrid ziemlich vollgepackt, mir hat jedoch alles total gut gefallen und die ersten Tage mit meiner Gastfamilie liefen echt super. In der Schule habe ich den sozialwissenschaftlichen Zweig gewählt, der die Fächer Mathe, Sprache (Lengua), Englisch, Wissenschaften (Ciencias), Informatik, Wirtschaft, Geschichte, Philosophie und Sport umfasst. Der folgende Montag war dann auch mein erster richtiger Schultag, und obwohl ich von allen sehr nett aufgenommen wurde, fiel es mir anfangs allgemein ziemlich schwer in der Schule, was hauptsächlich an dem Sprachproblem lag. Ich konnte mich nicht wirklich mit anderen unterhalten, und wenn mich jemand angesprochen hat, musste ich jedes Mal gefühlte fünf Mal nachfragen, bis ich etwas halbwegs verstanden habe. Ich habe also damit begonnen, mir einen Ordner voll mit Spanischvokabeln anzulegen, die ich dann den ganzen Vormittag in der Schule gelernt habe. Zudem hat mir meine Gastfamilie enorm geholfen, aufgrund sehr ähnlicher Interessen gab es immer Gesprächsthemen und sie haben mir jede einzelne Vokabel erklärt.
Meine spanische Familie
Da die Schule in Spanien nur bis 14:15 Uhr dauert und es keine Nachmittagsaktivitäten gibt, beziehungsweise Sport und Schule wie in Deutschland getrennt voneinander sind, habe ich mich Anfang Oktober in einem Pueblo in der Nähe für Hallenfußball eingeschrieben.
Nach Besuchen in Madrid, einem unvergesslichen Abend auf dem Oktoberfest in Torrejon und ersten gemeinsamen Abenden mit einigen Klassenkameraden bin ich mit meiner Gastfamilie und zwei andern Familien über ein verlängertes Wochenende in ein „Casa Rural“, praktisch ein großes Ferienhaus, in Segovia gefahren. Dieses Wochenende war auf jeden Fall eine der besten Erfahrungen bis jetzt. Am Sonntag wollte keiner zurück, die Zeit hier vergeht einfach viel zu schnell!
Inzwischen habe ich einige Leute, mit denen ich am Wochenende abends weggehe, mein Spanisch ist schon ziemlich gut und in meiner Gastfamilie fühle ich mich, als hätte ich schon immer hier gewohnt. Wir haben denselben Humor, interessieren uns für Musik und Konzerte, unternehmen viel zusammen, besichtigen Städte oder gehen abends weg, kochen und schauen zusammen Filme. Heute sind zwei Pakete aus Deutschland angekommen und meine Gastfamilie hat das erste Mal Lebkuchen, Spekulatius und Nimm2 gegessen.
Die Spanier und ihre Lieblingsbeschäftigung: essen!
Um auch ein paar Sachen zur Kultur oder ähnlichem zu sagen, das wichtigste zuerst: Spanien ist das Land des Essens! Normaler Tagesablauf am Wochenende: Zuerst das Frühstück, vor dem Mittagessen eine Kleinigkeit (Almuerzo), gegen vier Uhr Mittagessen (zwei Gänge und ein Nachtisch (Postre)), danach Kaffee und Kuchen oder etwas ähnliches, gegen acht Uhr gibt es Merienda (ebenfalls eine Kleinigkeit, Toast oder ähnliches) und gegen zehn gibt es Abendessen (ebenfalls warm, Spanier essen zwei Mal warm am Tag). Nach dem Abendessen, bevor man ins Bett geht, gibt es dann noch heißen Kakao mit Keksen. Wenn man sich etwas zu trinken in einer Bar bestellt, gibt es zudem (ab Madrid aufwärts im Norden, im Süden eher selten) immer Tapas dazu.
Alles nur Klischees?!
Spanier sind im Allgemeinen sehr offen und vor allem lebensfroh, feiern gerne und haben in der Regel Humor. Frauen begrüßt man grundsätzlich mit zwei Küsschen auf die Wange. Lehrer werden immer beim Vornamen genannt und haben eine viel persönlichere Beziehung zu den Schülern als in Deutschland. Schule in Spanien ist sehr unterschiedlich zu der in Deutschland, die Fächer werden (bis auf wenige Ausnahmen) im Frontalunterricht gestaltet, der Lehrer redet die meiste Zeit, Schüler müssen mitschreiben und den Unterrichtsinhalt für die Examen lernen. Außerdem spielt die Familie eine größere Rolle als in Deutschland, in der Regel wird immer zusammen gegessen und viel zusammen unternommen. Zudem werden Jugendliche in Spanien sehr viel länger wie Kinder behandelt, sie sind oft ziemlich unselbstständig und wohnen länger zu Hause. Während man in Deutschland oft mit Freunden einen ganzen Abend in einer Bar verbringt, trifft man sich hier meist gegen 10 Uhr und wechselt durchschnittlich nach 10 Minuten die Bar. Und zuletzt, auch wenn es ziemliche Klischees sind, sie sind absolut wahr: Die meisten Spanier sprechen ziemlich laut und Unpünktlichkeit gehört hier praktisch zum guten Ton. Auch wenn man es sich anfangs nicht wirklich so vorstellt, alles in allem ist die spanische Kultur doch sehr unterschiedlich zur deutschen.
Das perfekte Austauschjahr
Auf der einen Seite ist meine Zeit hier auf gewisse Art und Weise komplett anders als ich mir sie vorgestellt habe, auf der anderen Seite ist es bis jetzt das perfekte Austauschjahr, mit komplett neuen Erfahrungen, einer total anderen Lebensweise und Kultur, einer neuen Sprache und einer perfekten Gastfamilie. Auch wenn es bis jetzt nur zwei Monate sind, kommt es mir so vor, als würde die Zeit hier schneller vergehen als in Deutschland und ich bin froh, noch 8 Monate hier vor mir zu haben.