Eine gute Freundin sagte einmal zu mir, als sie gerade versuchte den Weg zum Haus meiner Gastfamilie zu finden: „ Oh mein Gott! Du wohnst ja irgendwo im Nirgendwo!" Und es stimmt wirklich! Denn wenn man mitten in Finnland, auf einer kleinen Farm umgeben von Wald und Seen, 16 km entfernt von der nächsten „Stadt" wohnt, und die Straße, die zum Haus führt, ein von Schlaglöchern übersäter Sandweg ist, dann kann man das auch wirklich sagen! Doch ich wurde selbst von mir überrascht, als ich mich nach ungefähr 2 ½ Monaten hier richtig zu Hause fühlte! Und ich konnte mir gar nicht mehr vorstellen, dass das hier einmal ein fremder und unbekannter Ort für mich gewesen war!
Ich liebe es mit meiner Gastfamilie angeln zu gehen, Pilze im Wald zu sammeln und dabei immer wieder festzustellen, dass der Wald in Deutschland nichts im Vergleich zum finnischen Wald ist, wo man einen gefühlten halben Meter im dicken Moos versinkt und man einfach keine Orientierung mehr hat, weil es in jeder Richtung gleich aussieht. Und auch wenn ich nur zu Hause zusammen mit meiner Gastfamilie gemütlich einen Film gucke, merke ich wie glücklich ich hier bin und immer glücklicher werde. Denn man lernt die kleinen Dinge zu schätzen, die den Alltag besonders machen! Wenn einem die Gastschwester in der Schule fröhlich auf die Schulter tippt, oder die kleinste Gastschwester plötzlich ins Bad gestürmt kommt, während man gerade am Duschen ist und irgendetwas mit einem besprechen will, dann merkt man, wann man wirklich angekommen ist! Und auch wenn ich morgens manchmal aufwache und denke, heute ist mal wieder ein gewöhnlicher und unspektakulärer Schultag, dann weiß ich jetzt, dass sich das ganz schnell ändern kann! Denn wenn am Abend die ganze Familie im kleinen Wohnzimmer finnische Musik hört und alle zusammen durchs Zimmer tanzen, dann sind das einzigartige und unvergessliche Augenblicke!
Meine finnische Schule unterscheidet sich in vielen Punkten von meiner Schule in Deutschland. Da nur ungefähr 120 Schüler das Lukio (die finnische high school) besuchen, kennt jeder jeden und das auch schon seit der 1. Klasse. Doch ich finde es wunderbar, jeden Tag die gleichen Leute zu treffen und es macht mich so glücklich wenn mich jemand grüßt, den ich schon kenne. Das finnische Schuljahr besteht aus 5 oder 6 Perioden, in denen man unterschiedliche Fächer belegen kann. Oft kann man sich sogar seinen Stundenplan selbst zusammenstellen, doch in meiner Schule haben wir immer einen schon fertigen Stundenplan bekommen und konnten nur noch ein paar Fächer frei wählen. Der Unterricht wird frontal gehalten und nur selten gibt es Gruppenarbeit. Die Schüler müssen mitschreiben, doch dem Lehrer ist es eigentlich egal, ob du zuhörst oder auf WhatsApp mit deinen Freunden schreibst. Am Ende jeder Periode gibt es eine Testwoche. Dann wird jeden Tag eine Prüfung geschrieben und der Stoff der letzten Wochen wird abgefragt. Ein ganzes Buch, das wir in Deutschland in einem Jahr durcharbeiten, wird hier in einer Periode durchgenommen. Die Schüler haben dementsprechend viel zu lesen und sollten den Inhalt der Bücher gut kennen.
Jedes Jahr im Februar findet in allen Schulen der so genannte „Wanhat" Tanzball statt. Die Zweitklässler (11. Klasse in Deutschland) feiern, dass sie die Ältesten in der Schule sind, denn die Drittklässler (Abiturienten) haben dann keinen Unterricht mehr und kommen nur noch in die Schule, um ihre Prüfungen zu schreiben. Das Tanzen wird vorher in den Sportstunden geübt und bei mir hat es in dieser Periode begonnen. Ich bin hier zwar erst in der 1. Klasse, aber ich darf trotzdem hin und bin schon wahnsinnig gespannt darauf.
„Wer finnisch lernen kann, kann alles lernen"! Ja, das ist toll, nur dafür muss man wirklich erst einmal finnisch können und das ist gar nicht so einfach zu lernen! Selbst nach 3 ½ Monaten hier verstehe ich bestenfalls die Hälfte von einem Gespräch und es ist nicht das erste Mal passiert, dass sich meine Gastfamilie sehr darüber amüsiert hat, wenn ich versucht habe einen eigenen Satz zu bilden. 14 Fälle und als ob das nicht schon genug wäre, spricht jeder auch noch umgangssprachlich. Doch mein Ziel ist Weihnachten und auch wenn es bis dahin noch nicht perfekt sein sollte, werde ich weiter versuchen mein Bestes zu geben.
Es gab keinen Tag bisher, an dem ich es nicht genossen habe hier zu sein und auch wenn es ab und zu mal schwierige Stunden gibt und einem Zweifel kommen, ob die Leute in der Schule einen wirklich mögen, dann gibt es einem manchmal die Kraft, es erneut zu versuchen. Ich hatte hier Tage an denen ich überglücklich war und in der Schultoilette herumgesprungen bin, weil ich nicht wusste, wohin mit meiner ganzen Freude. Ich kann nur sagen, es braucht ein bisschen Mut ein Austauschjahr zu machen, aber für mich war es definitiv die beste Entscheidung.