Gerade eben kam meine Gastmama in Wohnzimmer und erzählte mir von ihrer großartigen Idee, das nächste Mal, wenn sie ins Krankenhaus muss und im Wartezimmer sitzt, einfach eine Bingomaschine mitzunehmen, um mit allen anderen Wartenden Bingo zu spielen. So sind die Finnen eben - innovativ, genial und praktisch. Nicht umsonst kommen die großartigsten Erfindungen der Menschheit aus Finnland - der erste Internetbrowser, der Herzfrequenzmonitor, der Molotovcocktail und natürlich das Allerwichtigste: der Abtropfschrank.
Aber was weiß der normale Deutsche schon über das Land im hohen Norden? Nicht allzu viel, zumindest von mir und meinem Bekanntenkreis ausgehend. Doch warum eigentlich nicht? Diese Frage kann ich nicht beantworten, aber ich kann versichern, dass ich diese Tatsache ändern werde, wenn ich zurück nach Deutschland komme.
"Warum genau Finnland?"
ist wahrscheinlich eine der häufigsten Fragen, die mir von meinen deutschen und finnischen Freunde gestellt wurde. Meine Paradeantwort war und ist bis heute: „Ja, wegen dem Winter hier.“ Ich wurde nicht enttäuscht. Habt ihr schon mal bei minus 30°C eine geschlagene Stunde draußen auf den Schulbus gewartet? Ich schon. Der kam dann natürlich nicht und so sind meine Gastschwester und ich nach kurzem Aufwärmen im Haus mit dem Taxi zur Schule gefahren, auch mal ein neues Erlebnis. Aber Finnland hat einiges mehr zu bieten als Temperaturen, bei denen man sich in der Kühltruhe aufwärmen kann. (Nur um einige Beispiele zu nennen: unberührte Natur, tausende Seen und Inseln, Rentiere, den echten Weihnachtsmann, einen unerschöpflichen Beerenvorrat, Karelska Pirogger, die beste Schokolade der Welt (hier ein dickes Sorry an die Schweiz), Saunas, sisu, mökkis und den Vanhat, den „Tanz der Ältesten“).
Die Finnen
Das Schönste sind allerdings die Finnen selbst. Nicht unbedingt auf ihr Aussehen bezogen (obwohl es schon sehr viele hübsche Menschen hier gibt), sondern mehr auf ihre Art. Es ist schwer zu beschreiben, aber ich habe sie einfach lieb gewonnen. Man sagt, die Finnen sind sehr schüchtern und das kann ich zu 100% so unterschreiben. Ich habe Geschichten von ehemaligen Austauschschülern gehört und gedacht, dass sie maßlos übertreiben, aber siehe da alle Erzählungen waren wahr. Es ist wirklich so, dass die Meisten z.B. in deiner Schule gerne mit dir reden würden, aber sie sich nicht trauen, dich anzusprechen. Wenn du dann aber selbst erst mal „das Eis gebrochen hast“, dann sind sie die vertrauenvollsten, liebsten und gastfreundlichsten Menschen der Welt (vielleicht ein wenig übertrieben, aber sie sind schon ziemlich super). Man sagt deshalb auch, dass man finnische Freunde ein Leben lang hat.
Die Schule
Das Zweitbeste ist wahrscheinlich die Schule. Wirklich? Schule und gut hört sich für viele nicht so passend an, aber deutsche Schulen und finnische Schulen stehen in einem Verhältnis zueinander wie z. B. deine deutsche Schule und Hogwarts. Vielleicht nicht der beste Vergleich, da man selbst in Finnland nicht zaubern lernt, aber ich meine vom Spaßfaktor her. Ich fühle mich hier viel wohler, da die Lehrer den Schülern sehr viel Respekt entgegenbringen und dadurch das ganze Schulklima komplett anders ist. Es spielen da so viele Faktoren rein, dass ich das jetzt nicht hier ausführen will, also nichts wie los und Finnland selber erleben.
Mein finnisches Zuhause
Dann wäre da noch mein finnisches Zuhause. Ich sage bewusst „Zuhause“, weil es sich richtig anfühlt. Das war nicht immer so, da ich eine der vielen Austauschschüler bin, die Familie gewechselt haben. Ich wohne in einem kleinen gelben Holzhaus mit großem Garten, Mama, Papa, Ellen und Hund Lordi (nach dem einzigen finnischen Eurovisionsbeitrag bennant, der je gewonnen hat). Unser kleines Haus steht in der zweitältestesten und weitaus schönsten Stadt Finnlands. Die letzten fünf Monate waren ein Traum, damit meine ich ungefähr haargenauso, wie ich mir mein Austauschjahr vorgestellt hatte. Also falls ihr irgendwann selbst in der Lage sein solltet, Familie wechseln zu müssen, macht euch nicht so viele Gedanken: Es kann besser werden!
Finnlandschweden
Ich bin mit der Erwartung ins Auslandsjahr gegangen, mir über meine Zukunftspläne bewusst zu werden. Das hat, sagen wir, semigut funktioniert. Ich weiß zwar nicht, was ich studieren will oder wo ich leben werden, aber mir ist etwas weitaus Wichtigeres klar geworden. Ich habe meine Lebensaufgabe gefunden. Die besteht darin, die Menschen über die Existenz der Finnlandschweden aufzuklären. Finnlandschweden sind Finnen, die Schwedisch zur Muttersprache habe. Dies resultiert aus dem Faktum, dass Finnland sehr lange teil Schwedens war. Heutzutage sind es ca. 6% der Bevölkerung. Ich, als Austauschschülerin, habe es teilweise als äußerst frustrierend empfunden, in einer schwedischsprachigen Familie zu leben. Einfach dadurch, dass man, ohne finnisch zu sprechen, hier nicht sehr weit kommen wird. Alle Finnlandschweden haben zumindest die Grundkenntnisse in Finnisch, ich leider nicht. In manche Situationen fühle ich mich verloren, weil z.B. im Restaurant oder im Bus auf Englisch bestellen muss, obwohl ich meine neue Sprache fließend beherrsche, weil das Personal nur Finnisch spricht. Das wäre ja prinzipiell nicht so schlimm, da ich mich doch in Schweden verständigen kann. Aber funktioniert so leider auch nicht, da man in Finnland einen ganz anderen Dialekt hat als in Schweden und dort teilweise nicht verstanden wird. Außerdem wissen die meisten Schweden gar nicht, dass man in Finnland schwedisch spricht.
„Du snackar ju rätt så bra svenska.” –
„Jag som bara tränat sen jag föddes? Tack.”
Was ich aber am wenigstens verstehe, ist, dass es den meisten Finnlandschweden anscheinend nichts ausmacht. Ich war oft daran am Verzweifeln, aber ich bin dennoch sehr froh, Finnlandschwede „geworden zu sein“. So konnte ich auch manche schwedischen Traditionen kennenlernen, wie z.B. den Luciatag. Allgemein habe ich meine Wahl, ein Austauschjahr zu machen und nach Finnland zu gehen, nicht bereut. Finnland ist vielleicht nicht eins der einfachsten Länder, aber eins der schönsten. Für mich ist es weit mehr, es ist mein zweites Zuhause geworden.