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Mein Leben im Norden

Erfahrungsbericht von Marie, Austauschjahr in Estland

Am 16. August bin ich in mein Abenteuer Estland gestartet. Der Abschied am Flughafen war einerseits sehr traurig, aber andererseits war ich auch sehr glücklich, endlich starten zu dürfen. Sobald ich mich in der Reihe zum Check-in mit zwei anderen Austauschschülern und der Flugbetreuerin eingereiht hatte, war der Abschied eigentlich schon vergessen und ich blickte nach vorn. Und dann sah ich zum ersten Mal Estland – schon von oben sah man so viel Wald, den ich im Laufe meines Jahres noch sehr gut erkunden durfte,  und an manchen Stellen wusste ich nicht, wo Wald und wo Wasser war. Nach der Landung im beschaulichen Flughafen Tallinns  warteten wir auf die anderen Austauschschüler aus aller Welt und fuhren dann nach Kurtna, wo unser Arrival-Camp stattfand. Natürlich war es schön, aber eigentlich wollte ich einfach sofort meine Familie kennenlernen. Und als der Tag da war, waren wir alle mega aufgeregt, ich war in meinem Leben noch nie so aufgeregt wie an diesem Tag. Sobald mich meine Gastmutter in die Arme genommen hatte, fiel alle Aufregung von mir ab. Dann ging es schon bald nach Kadrina, meinem neuen Zuhause. Auf dem Weg sah ich überall Wälder und Felder und überraschenderweise Bushaltestellen auf der "Autobahn". Die sind für die Menschen, die hinter den Wäldern wohnen. In meinen weiteren Fahrten durch das Land sah ich auch Milchautos oder fahrende Geschäfte, die diesen Menschen Lebensmittel brachten.

 

Sprachbarrieren, Herzlichkeit und der Zauber der Natur

Ich fühlte mich in meiner Familie sofort wohl. Aber ich weiß noch wie verzweifelt ich war, als ich einfach nichts außer vielleicht einem Wortfetzen verstanden habe. Ich wünschte mir den Zauber, der mir über Nacht estnisch beibrächte. Aber letztendlich war es doch gar nicht so schwer – nur manchmal anstrengend. Auch meine Großeltern schloss ich sofort ins Herz und fühlte mich bei ihnen wohl. Sie haben ein Sommerhaus und hinter dem Garten fängt sofort der Wald an, wo auch ein Fluss mit einer selbsterbauten Brücke ist. Dieser Platz ist mein Lieblingsort in Estland und für mich hat er etwas Magisches.

 

Wir gingen im Wald Pilze sammeln und ich habe mich auch im Angeln versucht, ohne Erfolg.

 

Rein ins Haus? Schuhe aus!

Was für mich die größte Herausforderung war, war die Schule. Und damit meine ich alles. Keiner hat wirklich mit mir geredet und ich war für viele einfach nur die "Deutsche" und das hat mich total unter Druck gesetzt, weil ich ja nicht wollte, dass ich ein schlechtes Bild vermittele. Erst nach ein paar Wochen fingen die Leute an, etwas offener mit mir umzugehen und erst im Frühling konnte ich davon sprechen, Freunde gefunden zu haben. Trotzdem habe ich in dieser Zeit unglaublich viel gelernt und ich bin froh, dass ich nicht aufgegeben habe.

 

In vielen Dingen ist die estnische Kultur der deutschen ähnlich, aber es gibt auch genauso viele Unterschiede. In der Schule gibt es Schulschuhe und wenn ich jemanden besuche, muss ich als allererstes die Schuhe ausziehen. Auch zu Hause ist es ein Tabu, noch einmal mit den Schuhen ins Zimmer zu gehen, wenn ich etwas vergessen habe. Die Geschäfte sind sieben Tage die Woche offen. Bus und Bahn sind immer pünktlich. Alle gehen (nackt) in die Sauna. Und in der Schule wird in der Pause kein Mäppchen durch die Klasse geworfen, alle lernen oder sitzen am Handy.

 

Trotz einiger Enttäuschungen, die ich über das Jahr erleben musste, habe ich so viele schöne Erfahrungen gesammelt, so viel gelernt und gekocht, dass ich jetzt ein neues Zuhause im Norden Europas gefunden habe. Und so kalt war es dann doch nicht.