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Estland - das Land des...?

Erfahrungsbericht von Pauline, Austauschjahr in Estland

Ich wusste kaum etwas über Estland, als ich mich auf meinem Auswahlgespräch spontan umentschied und Estland als mein Lieblingsland angab. Jetzt kann ich definitiv sagen,dass es die richtige Entscheidung war. Und auch, dass ich den vielen Gerüchten und Geschichten über Estland nicht all zu viel Beachtung schenkte, als ich nach Estland aufbrach. Das war gut, denn so konnte ich alles mit eigenen Augen und unvoreingenommen erleben und es gab keine Erwartungen, die enttäuscht oder bestätigt werden konnten. Meine Freunde haben nicht so gut verstehen können, warum ich ausgerechnet nach Estland wollte.  Oft wurde ich gefragt, warum ich nicht in die USA oder ein anderes englisch- bzw. französischsprachiges Land gehen wollte. Mir ist aber recht schnell aufgegangen, dass ich nicht ins Ausland wollte, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern, sondern weil ich die Kultur Estlands kennenlernen wollte, nicht nur die Sprache.

 

Der erste Eindruck: Natur!

Nach den Vorbereitungstagungen, vielen Arztterminen, Vorbereitungen, dem Lesen vieler Bücher über das nördlichste der drei Länder des Baltikums und endloser Aufregung und Wartezeit ging es dann endlich los. Natürlich schaute ich im Flugzeug die ganze Zeit aus dem Fenster, um nicht den ersten Blick auf Estland zu verpassen. Der erste Gedanke, als ich die Felder sah war, dass es doch genauso aussieht wie Deutschland, aber ein paar Tage später sollte ich schon eines Besseren belehrt werden. Auf dem Weg zu meiner Gastfamilie bekam ich schnell einen ersten Eindruck von Estlands Landschaft und habe mich vom ersten Moment an in Estland verliebt.

 

Nach der Ankunft in meinem großen Abenteuer gab es erst ein Ankunftsseminar mit allen anderen Austauschschülern. Dort haben wir viel über das Land gelernt und auch einen Sprachkurs bekommen. So bekamen wir einen Einblick in die schwere, aber sehr schöne Sprache. Mit der ersten Umarmung meiner Gastmutter habe ich mich sofort zu Hause gefühlt. Die Familie ist mittlerweile für mich eine zweite Familie geworden, mit der ich viel erlebt habe. Jetzt wo mir noch knappe 1,5 Monate übrig bleiben, macht es mich schon traurig, dass ich sie bald verlassen muss.

 

Estnisch, die Sprache der 14 Fälle

Bevor die Schule im September anfing, hatte ich noch 2 Wochen Zeit mich einzuleben und den estnischen Alltag kennenzulernen. Schon ein paar Tage nach meiner Ankunft wurde ich in die Sauna mitgenommen. Das gemeinsame in die Sauna gehen ist nun ein großer Bestandteil in meinem Leben in Estland geworden. Die Sauna wird nicht nur zum Waschen genutzt, sondern auch die meiste Kommunikation findet dort statt. Da ich in einem kleinem Dorf in der Nähe von Tartu lebe, habe ich das Glück eine eigene Familien-Sauna zu habe, in die ich zusammen mit meiner Gastfamilie 2-3 Mal die Woche gehe. Als ich dann am ersten Schultag mit Blumen in der Hand (für meine Klassenlehrerin) in der Schule stand, hatte ich schon ein sehr komisches Gefühl. Mit eigentlich keinen nennenswerten Estnisch-Kenntnissen und mit ziemlich arg zitternden Knien ging ich dann in den Klassenraum. Da meine Klasse neu zusammenkam, haben meine Klassenkameraden erst bei der Vorstellungsrunde bemerkt, dass ich Austauschschülerin bin. Meine Mitschüler haben sich sehr gefreut, dass eine Austauschschülerin in ihre Klasse geht und haben von Anfang an versucht, mich zu unterstützen, z.B.  wurden für mich mein Stundenplan ins Englische übersetzt und Klassenkameraden haben mir nach der Schule angeboten, die Hausaufgaben zu übersetzen oder Aufgaben noch mal zu erklären, wenn ich sie nicht verstanden hatte. Bald schon hatte ich mich in den estnischen Schultag eingefunden.

 

Die Esten lernen unter der Woche viel und betreiben etwa die gleichen Hobbys wie deutsche Jugendliche, also machen Sport oder spielen ein Musikinstrument. Am Wochenende trifft man sich mit Freunden oder geht ins Kino. Dem Unterricht zu folgen war am Anfang aufgrund der Sprache sehr schwer für mich. Die Sprache machte mir mit ihren 14 Fällen und gefühlten Millionen Ausnahmen anfangs viele Probleme. Also besuchte ich oft den Estnischunterricht der 4.-6. Klasse, um so leichter und schneller zu lernen, darum hatte ich schon bald viele Freunde aus diesen Klassen. Ihr „Tšau Pauline!“, wenn wir uns auf dem Gang trafen, erfreute mich jedes Mal. Auch freuten sich meine Mitschüler über jeden Satz, den ich auf Estnisch gesagt habe und haben mich so immer wieder angespornt, die Sprache weiter zu lernen und zu verbessern. Insgesamt mag ich die estnische Schule sehr gerne. Deutschland ist ein wichtiges Land für Estland und auch deshalb wird an meiner Schule Deutsch unterrichtet. Viele meiner Klassenkameraden möchten gerne nach Deutschland, sei es zum Urlaub oder zum Studieren/Arbeiten. Die ganze Schule ist eine Art Familie und  jeder kennt jeden. In einem so kleinen Land bekommt man insgesamt sehr schnell das Gefühl, dass eigentlich jeder jeden kennt.

 

Typisch estnisch: Nationalstolz, Tanz und Feiertage

 In Estland habe ich auch zum ersten Mal den Nationalstolz kennen gelernt. Schon als am ersten Schultag zusammen die Nationalhymne gesungen wurde, habe ich gemerkt wie besonders dieses „Zusammenhaltsgefühl“ für das Land ist. Wegen der Geschichte ist auch Musik sehr wichtig für die Esten. Darum hat fast jedes ältere Lied und jeder Tanz eine Bedeutung. Volkstanz wird in Estland auch viel betrieben. Jedes Dorf/Stadt/Schule hat mindestens eine Volkstanzgruppe und ich auch ich bin Teil der Volktanzgruppe meiner Schule. Tanz-und Singfestivals finden in dem baltischen Land sehr viele statt. Auch ich war einmal Freiwillige bei einem Tanzfestival und werde mit meiner Volkstanzgruppe auch noch an einem teilnehmen.

 

Besonders gefällt mir die weite und natürlich belassene Natur. Ich bin mit meiner Gastfamilie und auch mit einer Freundin durch das Land gereist und mich fasziniert immer wieder, wie schön und wie unterschiedlich die Natur eines so kleinen Staats sein kann. Gefreut hat mich auch, dass im Winter genug Schnee lag, um Langlaufen, Skifahren und Schlittenrutschen zu gehen. Ein besonderes Erlebnis war, dass ich einmal  Polarlichter sehen konnte. Zusammen mit meiner Gastmutter bin ich immer wieder nachts aufgestanden, wir sind nach draußen in die Kälte gegangen und haben nach Norden geschaut. Auch im langen, dunklen Winter wurde es  nicht langweilig. Die Esten feiern viele verschieden Feiertage und auch von der Schule werden viele Aktionen geplant. Ich durfte viele Mottotage, Sporttage und z.B. auch den Weihnachtsball miterleben.

 

Estland ist das Land der Weite, der gastfreundlichsten Menschen, die ich kenne, das Land der Sauna, des guten Essens, der Traditionen, der Musik und des Tanzes. Man merkt fast täglich die Geschichte Estlands und manchmal hatte ich fast das Gefühl, Geschichte zu leben.
Der westeuropäische und russische Einfluss ist deutlich zu spüren. Estlands Kultur ist unglaublich faszinierend und auch ein Jahr reicht nicht aus, um sie komplett kennenzulernen. Mein Abschied in 1,5 Monaten wird ein schwerer, aber definitiv wird er nicht für immer sein. Es wird ein Abschied mit dem Versprechen, dass ich wiederkomme. Das muss ich auch, weil ein Teil von mir in Estland bleiben wird.

Pauline bei einem Ausflug mit ihrer Gastfamilie

Pauline bei einem Ausflug mit ihrer Gastfamilie

Natur Estlands

Natur Estlands

Pauline mit einer Freundin

Pauline mit einer Freundin

Viel Licht im nächtlichen Tartu

Viel Licht im nächtlichen Tartu