Ich war 14 Jahre alt, als ich mich dazu entschieden habe, ein Jahr in Estland zu verbringen. Mittlerweile bin ich 16 Jahre alt und in einem Monat wieder zurück in Deutschland.
Vor dem Auslandsjahr wurde ich sehr oft gefragt: Warum Estland? Für viele steckt ja ein tieferer Grund dahinter, aber ich persönlich wählte Estland, weil es sich cool angehört hat (und einen passablen Preis hatte ;)), aber nach zwei Wochen hier wusste ich schon, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
Nach der Ankunft hier hatten wir ein fünf Tage langes Camp zusammen mit allen anderen Austauschschülern. Wir waren 38 Leute insgesamt, davon um die 20 aus Deutschland, aber auch aus Ländern wie Japan, Thailand, Tschechien, Argentinien, Mexiko und der Türkei. Das Camp war wirklich toll. Wir lernten ein paar Basics der estnischen Sprache und hatten sehr viel Spaß.
Die erste Woche mit der Gastfamilie war sehr awkward, da die Esten von sich aus sehr leise Menschen sind und wir uns erst alle an die neue Situation gewöhnen mussten. Ich wurde aber sehr schnell mit einer von meinen Gastschwestern Freunde, da wir ziemlich gleiche Interessen haben und auf die gleiche Schule gehen.
Ich mag meine Schule hier in Estland viel lieber als in Deutschland – aber ich denke, dass jeder eine Schule bevorzugt, die in jedem Zimmer einen Beamer hat, als eine Schule, die an einen Bunker im 70ger Jahre Baustil erinnert. Die sogenannte e-kool (E-Schule) ist ein sehr wichtiger Bestandteil des estnischen Schulsystems. Man bekommt dadurch Noten mitgeteilt, Hausaufgaben und andere Nachrichten. Wenn ich krank bin, muss meine Gastmutter nur eine Nachricht an meine Klassenlehrerin schicken und zack bin ich entschuldigt. Fun fact: Während der Stunde nennt man die Lehrer nur ,,õpetaja’’ (Lehrer), und wenn man sonst über/mit ihnen spricht, dann benutzt man den Vornamen. Das war zuerst echt komisch, kann aber praktisch sein wenn man den Namen des Lehrers nicht weiß.
Die größte Herausfoderung ist die Sprache. Aber hey, ich konnte letzte Woche ein Interview auf estnisch im Radio geben. Estnisch hat 14 Fälle, die aber nicht so wie auf deutsch funktionieren. Hier gibt es z.B. einen Fall, der ein ,,mit’’ ersetzt. Aber estnisch klingt sehr schön, was auch ein Grund war, warum ich hergekommen bin. Esten reden sehr schnell, also viel Glück beim Zuhören und zugleich verstehen. ;)
Die Esten sind ein sehr stolzes Volk. Ich weiß nicht mal die Worte unserer Hymne, die aus einer Strophe besteht, wohingegen die Esten ihre Hymne bei fast jeder Schulveranstaltung singen. Das vereint zwei Dinge, die einen Esten ausmachen: stolz auf Estland sein und singen.
Estnische Küche bedeutet: Schweinefleisch, Kartoffeln und Milch. Ehrlich. Sogar in der Schule bekommt man zum Mittagessen (das an meiner Schule gratis ist) Milch. Esten trinken Milch wie Wasser oder wie Bayern Bier ;). Hier gibt es auch ein paar russische Gerichte wie Borscht oder sogenannte Pelmeni. Sie essen auch gerne Pfannkuchen mit saurer Sahne.
Im Winter war es nur von circa 9-16.30 Uhr hell, der Rest des Tages war dunkel und trüb und es hat oft geregnet. Die tiefste Temperatur (ich lebe in Tallinn) war -20 Grad. Aktuell, im Sommer, ist es fast die ganze Zeit hell, was es echt schwer macht einzuschlafen. Es ist im Moment der heißeste Sommer, den Estland je hatte, mit circa 25 Grad. Am 23. Juni feiern die Esten den sogenannten jaanipäev, an dem wie bei uns ein Feuer angezündet wird (das Johannesfeuer). Es ist der größte und wichtigste Feiertag hier.
In Estland ist Weihnachten ein Fest der Familie, nicht der Kirche. Nur 20% der Menschen hier sind gläubig, und das merkt man. Ich dachte ja immer, dass man die Grundzüge der biblischen Geschichte kennt. Hier in Musik kommt die Frage ,,Warum heißt es denn Passionsmusik? Was musste Jesus durchmachen?’’ auf – die Antwort war Stille. Auch als ich einmal erwähnte, dass ich getauft bin, waren sehr viele überrascht.
Jetzt ein paar Fakten und Tipps, für Leute, die vielleicht doch mal ein Auslandsjahr in Estland machen wollen.
- Esten sind sehr still und verschlossen. Weil die meisten auch nicht sehr gut in Englisch sind, haben sich viele aus meiner Klasse nicht getraut mit mir zu sprechen
- Wenn du in Tallinn wohnst kannst du mit deinem Schulausweis gratis Bus, Zug, Straßenbahn und Trolley (ein elektrischer Bus) fahren
- Hier sprechen sehr viele Menschen (vor allem ältere) deutsch, deshalb aufpassen, was man sagt ;)
- In Deutschland wird man normalerweise nur mit dem ersten Vornamen angesprochen, hier in Estland ist es aber dein ganzer Name, nicht nur so ein Zusatz
- Viele Worte haben deutsche Wurzeln, z.B. lamp (Lampe), müts (Mütze), apelsin (Orange)
- Zwischen den Stunden haben wir immer 10-25 Minuten Pause (zumindest an meiner Schule), aber dafür keine lange Mittagspause. In Estland ist es auch nicht üblich, dass es Klubs und AGs an Schulen gibt
- Meine Schule hat ihre eigene Hymne, wir haben auch eine typische Mütze (die es an jeder Schule und Universität gibt) in den Farben unserer Schule und dem Wappen
Ich hoffe, dass dieser Bericht wenigstens ein bisschen hilfreich war, weil ihr ein Jahr hier wirklich nicht bereuen würdet!