Ich lebe nun schon seit sieben Monaten in Ecuador und verbringe eine unglaubliche Zeit voll von täglich neuen Erfahrungen, Eindrücken und Erlebnissen, die mich in meinem Leben nie wieder loslassen werden.
Inzwischen ist Machala meine Stadt, mein Zuhause. Ich gehe hier in eine katholische Schule, habe eine Familie gefunden, die mich aufnimmt wie eine richtige Tochter, Schwester und Enkelin. Morgens stehe ich um 6.00 Uhr auf und esse zum Frühstück eine gekochte Bananen mit Rührei, dann werden meine beiden kleinen ecuadorianischen Geschwister und ich von meinem Papa zur Schule gefahren. Die Schule war für mich am Anfang sehr gewöhnungsbedürftig. Am Eingang fängt es schon damit an, dass ein bewaffneter Sicherheitswärter dort steht und der Disziplinbeaufsichtigte die Uniform jedes Schülers haargenau kontrolliert. Hat der Rock auch die angemessene Länge? Keine Armbänder? Die Krawatte ordentlich gebunden? Die Haare der Jungs kurz? Hinzu kommt, dass er regelmäßig die Taschen durchsucht, damit auch ja keiner ein Handy in den Klassenraum schmuggelt. Jeden Montagmorgen versammeln sich alle auf dem Schulhof und die Flagge wird gehisst. Zudem wird die Nationalhymne gesungen, gebetet und natürlich eine Rede über Disziplin gehalten. Außerdem wird am Anfang einer jeden Schulstunde gebetet und regelmäßig findet ein Gottesdienst in der schuleigenen Kapelle statt. Im Klassenraum ist es allerdings vollkommen anders. Hier herrscht eine lockere, freundschaftsmäßige Atmosphäre unter Schülern und Lehrern. Es wird gescherzt, Lehrer werden mit der üblichen Begrüßung, einem Küsschen auf die Wange für Frauen, oder Männer untereinander mit einem Schulterklopfen begrüßt, und die Klassengemeinschaft ist einfach nur toll. Die Pausen verbringt die ganze Klasse gemeinsam und es wird diskutiert, an welchen Ort man am Wochenende zusammen fährt oder wann die nächste Party stattfindet.
Spaß auf den Familienfeiern
Es ist toll, Zeit mit meinen ecuadorianischen Freunden zu verbringen. Ich fahre mit ihnen an den Strand oder zu den Flüssen in der Umgebung und am Wochenende gehen wir feiern und dann wird ordentlich Salsa, Merengue und Reggaeton getanzt. Tanzen und Singen kann eigentlich jeder Ecuadorianer und auf den "Fiestas" wird oft bis zum Morgengrauen gefeiert. Noch mehr gefällt mir aber die Zeit mit meiner Familie. In Ecuador dreht sich alles um die Familie. Das gemeinsame Mittagessen hat eine sehr große Bedeutung. Die Großeltern werden jeden Abend besucht und einmal die Woche trifft sich meine ganze Familie mit allen Onkels, Tanten und Cousinen und Cousins in dem Landhaus der Großeltern zum Essen. Jeder Feiertag wird mit allen gemeinsam verbracht. Da die Cousins hier meistens gleichzeitig auch die besten Freunde sind und man sehr viele hat, habe ich auch immer sehr viel Spaß auf den Familienfeiern.
Truthahn unterm Plastikweihnachtsbaum
So habe ich zum Beispiel Weihnachten mit dreißig Familienmitgliedern singend unter einem Plastikweihnachtsbaum verbracht. Wir aßen zwei ganze Truthähne und zwei riesengroße Töpfe Reis und feierten die Geburt Jesus. Den Weihnachtsmann gibt es nicht und Geschenke spielen keine große Rolle. Nur mit der Dekoration liefern sich die Nachbarn einen Wettstreit. So werden bereits Ende September unzählige Rentiere, Schneemänner und Wichtel in den Gärten aufgestellt, die dann ununterbrochen bunt blinken und die Plastikweihnachtsbäume biegen sich vor lauter Schleifchen, Puppen, Lichtern und Kugeln. All dies kam mir bei über 30 Grad fast albern vor, aber es war trotzdem schön anzusehen.
Silvester mit Michael Jackson
Silvester habe ich ebenfalls mit der ganzen Familie gefeiert. Hier gibt es viele verschiedene Traditionen um die bösen Geister des vergangenen Jahres zu verjagen. Von der gelben Unterwäsche bis hin zum Weintraubenessen, doch die am meisten verbreitete Tradition sind die "Años Viejos". Das sind Puppen, von bekannten Persönlichkeiten oder Comicfiguren, die in dem jeweiligen Jahr eine große Rolle spielten, die dann um 0.00 Uhr auf der Straße verbrannt werden. Dieses Jahr war zum Beispiel Michael Jackson am häufigsten. Dann, wenn alles brennt wird symbolisch über das Feuer gesprungen um das alte Jahr hinter sich zu lassen. Danach gibt es, wie es in Ecuador natürlich selbstverständlich ist, wieder eine große Familienfeier, auf der bis zum nächsten Morgen getanzt wird.
Pitschnasser Karneval
Der Karneval ist mein Lieblingsfeiertag hier. Es gibt bunte Paraden in den Städten und alle Leute werden nass gemacht. Egal ob man im Auto bei offenem Fenster sitzt, oder im Supermarkt einkauft, man muss immer damit rechnen von einer Wasserbombe getroffen zu werden, oder mit einem Eimer Wasser beschüttet zu werden. Viele Menschen fahren an den Strand oder zu den Flüssen, wie immer mit der ganzen Familie. Ich habe die ersten zwei Tage, des Karnevals nicht eine Minute trocken erlebt, da meine Geschwister der Meinung waren, ich müsste diese Tradition ja sehr genau zu spüren bekommen, aber am dritten Tag habe ich dann selber mit ein paar Freunden Wasserbomben vorbereitet und wir haben alle Leute in den Straßen von einem Pick-Up aus nass gemacht.
Als wenn ich schon immer dazugehört hätte...
Ecuador ist nun mein zweites Zuhause. Hier lebt meine zweite Familie, die ich sehr lieb habe und die mich immer unterstützt und mich aufgenommen hat, als wenn ich schon immer dazu gehört hätte. Ich habe hier Freunde, mit denen ich viel Spaß habe und ich habe viele wunderbare Dinge gesehen und erlebt, die es nur in Ecuador gibt. Mein Austauschjahr kommt mir vor wie mein Traum.
Bald werde ich wieder in Deutschland zur Schule gehen, mein Leben dort weiterleben. Wenn ich nun nach Hause fahre, werde ich vieles hier vermissen, aber ich werde auch glücklicher in Deutschland leben, als vor diesem Jahr in Ecuador, denn mithilfe von dem, was ich hier gelernt habe, habe ich auch das Leben in meinem Heimatland mehr schätzen gelernt.