„Wie war´s denn?“ und „Ist aber schön, dass du wieder da bist, oder?“ fragen mich Nachbarn, die Frau an der Brötchentheke, die Lehrer, Mitschüler, Verwandte und sogar Leute, die sich früher nie für mich zu interessieren schienen. Und sie alle erwarten, dass ich ihre Fragen in einem möglichst knappen Satz zusammenfassend beantworte. Doch das, was ich in meinem Austauschjahr in China alles erleben durfte, lässt sich nicht so einfach in ein paar Worte fassen.
Warum denn China?
Es begann schon damit, als ich gerade den Brief von YFU geöffnet hatte und am Telefon versuchte meiner Freundin zu erklären, wie glücklich ich über die Zusage war. Bei all dem, was die Medien über China so berichten, war es schon irgendwie schwierig sich ein eigenes Bild vom Reich der Mitte zu mache - und ich war überglücklich, dass ich das im Austauschjahr tun könne.
In dem verbleibenden halben Jahr, hatte ich immer wieder das Gefühl mich dafür rechtfertigen zu müssen, nach China zu gehen. Nur wenige verstanden mein Interesse und die Neugier. Doch im Mai bei der Vorbereitungstagung (VBT) lernte ich alle anderen China-Fahrer kennen und wir verbrachten eine wunderschöne Zeit mit vielen tollen Erlebnissen in Mühlhausen. Wie wichtig die VBT für mich war, erkannte ich erst nach und nach während meines Auslandsjahres. Jedenfalls war ich nach der VBT hochmotiviert und konnte es nicht mehr erwarten, bis es endlich losging.
Der Abschied
Der Abschied war irgendwie leichter als gedacht, ein mulmiges Gefühl hatte ich schon im Magen, als ich allein am Flughafen auf das Flugzeug wartete, aber die Neugier und Lust, etwas Fremdes, China zu entdecken, überwog dann doch.
Viel Spaß beim Sprachkurs
Der Sprachkurs in den ersten 4 Wochen in Nanjing mit den anderen Austauschschülern, war mehr von Spaß als vom Chinesischlernen geprägt, was uns allen aber nicht geschadet hat. ;)
In den ersten Wochen waren wir auch viel mehr mit den Besonderheiten chinesischer Sanitäranlagen, der Kunst mit Stäbchen zu essen und der unerträglichen Hitze und teilweise gewaltigen Monsunregen beschäftigt.
Wie im Theater
In den ersten Wochen fühlte ich mich, als sei ich in einem Theaterstück gelandet, in dem alle außer mir den Text kennen. Umgeben von Tausenden von Menschen, doch man fühlt sich allein. Angestarrt, weil es für Chinesen schwer verständlich ist, dass man wirklich blaue Augen haben kann und Haare auch ohne Färbemittel blond sein können. Entsetzt über Rülpsen am Tisch. Schockiert über den Druck, der auf meinen Mitschülern lastet. Eingeengt von Regeln und Vorschriften in der Schule und in der Gastfamilie.
Meine Rolle in China zu finden, war der schwierigste Teil des Auslandsjahres, doch im Nachhinein betrachtet, war es auch der wichtigste und wertvollste. Es ist schwierig, Dinge nicht als „gut“ und „schlecht“ zu bezeichnen. Doch im Endeffekt ist es einfacher, eine fremde Kultur als „anders“ zu bezeichnen, als sich ein Schwarzweißbild mit klaren Vorstellungen von Gut und Böse zu machen.
Die Sprache öffnet Türen
Mit dem Erlernen der Sprache konnte ich mich schließlich viel besser in den Alltag integrieren und diesen verstehen. Durch die Sprache öffnete sich mir die Tür zum großen, spannenden Reich der Mitte. Und Dinge, die ich mir vorher nie hätte träumen lassen, waren plötzlich Bestandteil des Alltags, der mir immer besser gefiel.
Mir schmeckte chinesisches Essen plötzlich ausgezeichnet und ich nahm sogar zu, nachdem ich in den ersten Wochen abgenommen hatte, weil mich das Umgehen mit Stäbchen restlos überforderte und mir der Mut fehlte, alles zu probieren. Ich kaufte an heruntergekommenen Ständen Milchtee und Haarspangen und bewies den Händlern, dass auch Ausländer feilschen können. ;) Traf mich mit Klassenkameraden, die anfangs immer gesagt hatten, sie seien zu beschäftigt, um sich mit mir zu treffen. Die Morgengymnastik in der Schule gefiel mir, nachdem ich sie zuvor immer verflucht hatte. Unterhielt mich mit Baozi-Verkäufern und Nudelziehern, die mich vorher nur gemustert und über mich getuschelt hatten. Mir wurde klar, wie nett und herzlich die Menschen sind, die ich vorher als egoistisch, stur, komisch und freiheitsraubend bezeichnet hätte.
Liebe zu Shanghai
Und ich war überglücklich Teil von Shanghai zu sein. Die Mixtur aus Anonymität der Großstadt Shanghai und ein sehr familiäres Leben in meinem Viertel machte mich glücklich.
Schon war es vorbei, das Jahr zwischen Verkehrschaos und überordentlichen Parks, Hochhäusern in der City und klapprigen Hütten am Stadtrand, vielfältigen Möglichkeiten und ständiger Kontrolle, Heimweh und Genießen des Augenblicks.
Mein Auslandsjahr war ein sehr intensives Jahr. Ich habe geweint und doppelt so viel gelacht.
Es war das beste Jahr meines Lebens, in dem ich lernte daran zu glauben, dass Probleme lösbar sind.