„Australien? Das ist ja so weit weg, gibt es da nicht auch viele giftige Tiere? Und was ist mit der Hitze?“ Bevor ich mein Austauschjahr begonnen habe, hatte ich einige solche Fragen bekommen. Mein Jahr bestand aber aus so viel mehr als Tierwelt und Klima!
Nach einem überraschend tränenarmen Abschied am Münchner Flughafen besteige ich also die Maschine, einen Airbus A380, die mich für die nächsten neun Monate in ein neues Leben am anderen Ende der Welt entführen soll. Fast schon sprichwörtlich auf Wolke 7 freue ich mich auf den lang ersehnten Beginn meines Austauschjahres in Strathalbyn, einem kleinen Ort in der Nähe von Adelaide, quasi eine Vorstadt einer Vorstadt. Im Vorfeld habe ich schon mehrere Mails mit meiner Gastfamilie und der örtlichen Betreuerin gewechselt und konnte es kaum erwarten, endlich in ein australisches Leben, das Abenteuer meines bisherigen Lebens, einzutauchen. In Dubai treffe ich die anderen YFU-Austauschschüler, die ebenfalls nach Australien fliegen.
Angekommen in meinem neuen Zuhause, fällt es mir die ersten Tage schwer, wach zu bleiben. Der Jetlag hat mich voll in seinem Bann! Nach einigen sehr verschlafenen Tagen freue ich mich aber nur über die Warmherzigkeit und Aufnahmebereitschaft meiner Gastfamilie, die mich wirklich herzlich in ihren Haushalt integriert. Doch erst nach ein paar Tagen kann ich mich tatsächlich richtig wohlfühlen, denn offenbar stimmt irgendetwas mit der Wasserversorgung des Hauses nicht. Zum Glück schauen schon wenige Tage nach meiner Ankunft sehr nette Handwerker vorbei, die („G´Day Mate") die kaputte Toilette und das Waschbecken in einen („Naah, she’ll be right Mate") guten Zustand bringen („See ya soon"). Jetzt kann die Schule beginnen!
In der Schule ist einfach alles entspannter als in Deutschland. Die australische Gelassenheit schlägt hier voll zu, Lehrer, die eher wie Kumpels als wie Autoritätspersonen wirken, freundliche Schüler, wenige Hausaufgaben, einfache Tests und Laptops (!) machen den Schulalltag sehr angenehm. Nur der Aussie-Slang ist zu Beginn ein wenig schwer zu verstehen.
Nur einen Tag nach meiner Ankunft muss ich auch schon helfen, auf einem Festival Hot-Chips, also Pommes, die teilweise mit Bratensoße übergossen werden, zu verteilen, da meine Gastfamilie für die Verpflegung der Besucher zuständig ist. Auf dem „Strathalbyn Bush Festival“ wird mir zum ersten Mal richtig bewusst, wie ländlich das Dorf eigentlich ist. Denn alle Besucher des Festivals tragen echte Cowboystiefel und -hüte, ich bin als einziger in Sneakers und Mütze (Wahnsinn, wie kalt der australische Winter sein kann) erschienen. Während sich also viele Leute am warmen und riesigen „Bushfire“ wärmen, tanze ich Line und Square Dance mit einem Cowboy in einer Reithalle, wo dieser auf einem Pickup-Truck Anweisungen für die Leute gibt, die mittanzen. Mal ein ganz anderes Erlebnis. Schon jetzt wird mir bewusst, dass der Ort wohl genau der richtige Platz für ein Auslandsjahr ist, und schon nach einer Woche fühle ich mich ziemlich angekommen und bereit, das Abenteuer am anderen Ende der Welt zu genießen.
Die nächsten Wochen fliegen vorbei. In einer Mischung aus Schule, Assessments, Chor, Klavier, Band und, ja, auch Fernsehabenden mit meiner Gastfamilie lässt sich bald ein Alltag erkennen. Freunde zu finden gestaltet sich jedoch zu Beginn ein wenig schwer, denn die Schule ist sehr an Austauschschüler gewöhnt, und man muss den Kontakt zu Australiern intensiv suchen. Jedoch kann ich in meinen Ferien mit meinem Gastbruder einen Kajaktrip machen, inklusive Schlafen unter dem Sternenhimmel. Hier finde ich auch schon die Überleitung zu einem der Dinge, die mir in Australien am meisten gefallen haben: Wer wird es glauben - das Schulfach Outdoor Education. Hierbei lernt man für einige Wochen auf ein praktisches Assessment hin, ob das jetzt Surfen, Klettern oder Schnorcheln ist. Das „Bushwalking camp“ genieße ich in vollen Zügen, drei Tage lang ist die Outdoor-Education-Klasse im wunderschönen australischen Outback unterwegs. Lange Märsche, australische Tiere, Männergespräche am Lagerfeuer, Kochen mit dem selbst erstellten Menüplan, die unglaublich schöne Milchstraße und indigene Gesichtsbemalung haben das Ganze unvergesslich gemacht. Mit der Schule, aber auch in meiner Freizeit gehe ich oft an den Strand, wo Haie und andere gefährliche Meeresbewohner ebenso kein großes Problem sind wie giftige Tiere auf dem Festland, solange man vorsichtig bleibt.
Während des Jahres freue ich mich immer riesig, wenn ich Post aus Deutschland bekomme, doch auch die Mittel der modernen Technik machen es einfach, Kontakt mit Familie und Freunden zu halten. Wenn nur der gewaltige Zeitunterschied nicht wäre! Natürlich wäre es mir recht, allen alles aus Australien zu erzählen, aber es gibt einfach zu viele kleine Anekdoten, als dass es mir möglich wäre, sie alle hier aufzuschreiben.
In den Sommerferien spiele ich viel Tennis und Klavier und fliege mit meiner Gastmutter, meinem Gastbruder und meinem Gastvater nach Queensland an die australische Ostküste, wo wir Verwandte besuchen und ich oft morgens Strandspaziergänge unternehme und das eher tropische Klima bewundere. Weihnachten und Silvester gestalten sich eher unspektakulär, da Australien durch den Status als Einwanderungsland nicht zwingend durch eine vorherrschende Religion geprägt wird und Feuerwerk sogar illegal ist (Sie lieben ihre Regeln mehr als die Deutschen, diese Australier).
Nach den Sommerferien wechsle ich meine Gastfamilie, was sich als eine schwierige und stressige Zeit gestaltet. Jedoch kann ich danach die letzen Wochen vollends genießen und mache mit meinem Vater, der für zwei Wochen nach Down Under gekommen ist, auf einen Roadtrip von Adelaide über Melbourne nach Sydney. Diese letzten Wochen zeigen mir noch einmal auf, wie vielfältig der ganze Kontinent ist. Von unberührten Landschaften, gigantischen Millionenstädten wie Melbourne und kleinen Siedlungen, in denen eben dieser Siedlergedanke noch eine Rolle spielt - es ist unglaublich, wie gut man ein Land in neun Monaten kennenlernen kann, vor allem als Austauschschüler!
Natürlich bringt ein solches Wagnis auch Probleme mit sich, es lehrt einen, die Welt in einem anderen Blickwinkel zu entdecken, Menschen zu vertrauen, die man nie zuvor getroffen hat, und wie es ist, von jemandem enttäuscht zu werden. Niemals jedoch würde ich mein Auslandsjahr „weggeben“ wollen. Die Erfahrungen, die ich in den letzten Monaten gemacht habe, geben mir ein Stück Persönlichkeit. Dieser Teil besteht vor allem aus mehr Toleranz, Gelassenheit und der Sicherheit in mir selbst, dass alles gut wird, solange man es probiert. Oder wie die Australier sagen: She’ll be right, mate.