Nach einem Jahr voller Vorbereitungen war es endlich soweit, mein Abflugstag war gekommen: Der Abschied für ein Jahr von meiner Familien und meinen Freunden war schwierig, ich habe noch die Stimme des Sicherheitsbeamten im Ohr, der zu meinen Tränen sagte: “Aber du kommst doch wieder!” Ja, aber erst in einem Jahr. Wie leicht dieser Abschied aber war im Vergleich zu jenem, der mich in einem Jahr erwarten sollte, habe ich an diesem Tag nicht mal geträumt. Im Flugzeug dann mit den anderen Austauschschülern überwog aber die große Vorfreude auf unser Abenteuer in Argentinien.
Angekommen im fernen und fremden Argentinien
Und nach gut 14 Stunden erreichte ich das Land meiner Träume. Alles war fremd, irgendwie anders. Am Flughafen empfing mich meine Gastfamilie, ich verwechselte erst einmal prompt den Gastvater mit dem Gastbruder und war froh, mich mit meinen wenigen Spanischkenntnissen, mehr aber mit Händen und Füßen überhaupt irgendwie verständigen zu können. Im Auto später brach noch der Schlüssel ab. Abends im Bett ging mir einiges durch den Kopf: Die kaputten Straßen mit Lehmhütten, Palmen und Orangenbäumen. Auch die kommenden Tage waren anstrengend und ermüdend, denn alles war neu und fremd, zum Beispiel meine Gastschule. Meine Mitschüler springen herum, spielen Karten oder holen Schlaf nach. Das nennt sich hier Schule?
Weihnachten im Sommer bei 40 Grad
Leider stimmte mit dieser Gastfamilie die Chemie nicht, so dass ich wechselte. Danach wohnte ich in einer 10-köpfigen Großfamilie, die mich vom ersten Tag wie ein weiteres Familienmitglied aufnahm. Und endlich kam auch das Gefühl, angekommen zu sein, Teil dieser Gesellschaft zu sein. Ich fand Freunde fürs Leben, mit denen ich in der Schule viel Spaß hatte und den ganzen Tag verbrachte. An Karneval warfen wir im Zentrum mit Wasserbomben und Sprühschnee herum, Weihnachten und Silvester feierten wir bei über 40 Grad im Sommer und abends ging es immer zur „Plaza” (Platz mit Bänken im Zentrum), wo sich alle Jugendlichen treffen.
15. Geburtstag eines Mädchens
Einmal bin ich zu einem 15. Geburtstag eines Mädchens eingeladen worden. Dies ist in ganz Lateinamerika ein besonderes Ereignis, bei dem das Mädchen zur Frau wird. Selbst arme Familien sparen jahrelang darauf hin, ihrer Tochter eine riesige Feier zu ermöglichen, die einer Hochzeit gleicht. Es gibt riesige Torten und Andenken und die Gäste erscheinen fein gekleidet mit Anzug oder Kleid.
Reisen, Reisen, Reisen
Ich durfte den ganzen Norden Argentiniens kennen lernen: Meine Familie besitzt ein Ferienhaus in den Anden, wo wir einen Teil der Sommerferien und Ostern verbrachten, und hat auch eine schöne Reise nach „La Rioja” (Andenprovinz) unternommen. Auf der Rundreise von YFU durch den Nordwesten habe ich atemberaubende Landschaften gesehen sowie die die größten Wasserfälle der Welt, die „Iguazu”-Wasserfälle an der Grenze zu Brasilien. Mit meiner Schule habe ich eine Abifahrt nach „Carlos Paz” gemacht.
Wenn ich früher an Argentinien dachte, hatte ich Fernweh, jetzt habe ich Heimweh.
Irgendwann ist es normal geworden für mich, morgens meine Schuluniform anzuziehen und zum „Colegio” zu gehen, die Siesta zu schlafen, Tangounterricht zu nehmen, den ganzen Tag „Mate” zu trinken und sonntags mit meiner Familie „Asado” (= Grillen) zu essen. Ich denke und träume auf Spanisch, rechne in „Pesos” und begrüße alle mit einem Kuss auf die Wange. Und einfach die Umarmung einer Freundin oder das Handhalten mit meiner Gastschwester zeigen mir, dass ich ein zweites Zuhause in Argentinien gefunden habe. Der Abschied am Flughafen war sehr emotional, denn das Wiedersehen ist ungewiss. Jetzt befinde ich mich wieder in Deutschland und kann sagen: Die Entscheidung zum Austauschjahr und auch zu Lateinamerika war die beste meines Lebens und ich empfehle jedem, auch ein Jahr in eine fremde Kultur einzutauchen.