Obwohl nun schon beinahe zehn Monate um sind, fühlt es sich wie gestern an, als ich an dem kleinen Flughafen der kleinsten, eigentümlichen, aber sehr schönen Provinz Argentiniens – Tucumán – stand und so aufgeregt wie noch nie zuvor, meiner Schwester und meinem Gastvater zum ersten Mal ein Begrüßungsküsschen gab. Wie eine kleine Katze im Körbchen fühlte ich mich, als ich etwas eingeschüchtert mit Hinblick auf meine weitere, unbekannte Zukunft in Argentinien auf dem Rücksitz der „camioneta“ saß und gerade mal das Wort „azúcar" verstand, während wir an großen Zuckerplantagen vorbeifuhren. Bereits im Auto wurde mir zum ersten Mal das einem Tee ähnliche, typische Getränk „Mate“ serviert, welches hier in Argentinien neben der kulturellen besonders eine gemeinschaftsverbindende Bedeutung hat.
Erste Eindrücke
Schon in den ersten Wochen konnte ich feststellen, dass die Menschen hier viel herzlicher und offener für andere Kulturen sind, wobei sie stets ihren Nationalstolz behalten. Doch hat es mich am Anfang ziemlich viel Kraft gekostet, da ich nicht wirklich etwas verstand und prinzipiell alleine war ohne meine Familie so richtig zu kennen, geschweige denn, Freunde zu haben. Gerade in solchen Situationen lernt man selbstständiger zu werden und danach andere Vorkommnisse gelassener zu nehmen. Später wird man auch mitgerissen von dem unbefangenen, entspannten Lebensstil. Am ersten Schultag wurde ich direkt – in meiner Schuluniform gekleidet (bestehend aus dem Hemd, einem Rock, den Schuhen und den dazu passenden Socken) – nach vorne geholt und der ganzen Schule vorgestellt, so wusste bald jeder meinen Namen, doch ich musste oft in enttäuschte Gesichter schauen, als man mich fragte, ob ich denn deren Namen wüsste. Hinzu kamen überall freilaufende Hunde in der Straße, Busse, bei welchen sich die Türen nicht schließen, fremde Menschen, die einen einfach ansprechen, weil sie Gespräche suchen, Ausdrücke wie „¿Eh boluda qué hacés?“, ständige Cumbia-, Quartetto- oder Tangomusik, die extreme Spontanität und „fiestas“, die erst um zwei Uhr nachts beginnen und enden, wenn die Sonne am Horizont aufgeht... Doch, das war schon gewöhnungsbedürftig am Anfang.
Eingewöhnung
Oftmals war ich ziemlich verzweifelt wegen der Sprache, da ich so schnell wie möglich lernen wollte, denn es verbessert wirklich die Qualität eines Austausches, wenn man sich unterhalten kann, weil man dadurch erst Freunde findet. Aber es ist nicht nötig, seine wertvolle Austauschzeit nur mit Lernen zu verbringen, da man sprechend und durchs Treffen mit Freunden am besten lernt. Durch jedes Gespräch und jede Umarmung entwickelt sich auch eine tiefere Beziehung, sei es zu der Gastfamilie oder zu den Freunden. Ehrlich gesagt ist es unglaublich, wie viel Liebe man für einst fremde Menschen entwickeln kann, in solch einer kurzen Zeit. Auch als ich nach einigen Reisen oder Kurztrips wieder zurückkam zu meiner Familie, hatte ich wirklich das Gefühl endlich „nach Hause“ zu kommen.
Otras costumbres
Neben vielen schmackhaften Fleischgerichten (denn dafür ist Argentinien bekannt) wie z.B. den „empanadas“ (eine Art Teigtaschen die mit Fleisch und/oder anderen Zutaten gefüllt sind), dem „asado“ (exzellentes Grillfleisch) oder auch dem „lomito“ (eine Art Brot belegt mit Fleisch, Salat etc., aber unvergleichbar mit einem anderen Gericht), gibt es auch viele Dinge, die Vegetarier verzücken können, wie zum Beispiel das „humita“ (eine Masse aus Mais und Kürbis eingehüllt in den Blättern vom Mais) und viele weitere Dinge.
Anders als in Deutschland war auch das Weihnachtsfest: Zum ersten Mal feierte ich Weihnachten bei 45 °C Hitze in der ruhigen Provinz Catarmarca. Mit mehr als 20 Familienmitgliedern zelebrierten wir, während „folklore“ auf Gitarre gespielt und mit Gesang begleitet wurde, und am Abend ging es mit den jüngeren Mitgliedern der Familie in eine Diskothek tanzen. Apropos, dies gehört zu einer der vielen Sachen, die ich hier in Argentinien gelernt habe: Lateinamerikanisch zu tanzen, die „cadera“ zu bewegen und Leidenschaft einzubringen. Ich liebe es, wie die Menschen hier tanzen und jeder, ob jung oder alt, kann es auch. Besonders die fünfzehnten Geburtstage der Mädchen werden hier so groß wie Hochzeiten gefeiert und das Geburtstagskind hat meistens ein Prinzessinnenkleid an, während den Jungen zu ihrem achtzehnten Geburtstag der Kopf rasiert wird.
Jedes Jahr gibt es in ganz Argentinien „la elección de la reina“ (Die Wahl der Königin), zu welcher sich die Schulen mit einer Thematik ins Zeug legen und eine Art Schönheitswettbewerb unter den gewählten Kandidatinnen der Schule veranstalten, welcher dann immer weiter, bis auf Landesebene, ausgetragen wird.
Der Großteil der Bevölkerung ist sehr gläubig, davon überwiegend katholisch und dies sieht man z.B. jedes Mal, wenn man an einer Kirche vorbeigeht, da sich jeder bekreuzt. Im Gottesdienst gibt man seinem Nächsten einen Kuss auf die Wange und auch in der Straße zeigt sich diese Wertschätzung des Mitmenschen. Einmal in der Bank ließ mich eine ältere Frau ein buntes Kärtchen aus ihrem Portemonnaie ziehen auf welchem ein Bibelspruch stand und sie sprach mir einen Segen zu, einfach aus der Seele hinaus, ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Unendliche Schönheit – Gehen wir auf Reisen
Ob Orangen- und Limonenbäume in der Straße, Mangobäume im eigenen Garten, Palmen, Kakteen oder große, einzigartige bunte Blüten, von jedem kann man etwas in Argentinien vorfinden. Dieses Land hat mit seiner fast sieben Mal größeren Fläche als Deutschland so viel unberührte Natur, und die Bandbreite der Fauna reicht von Tukanen im Norden bis zu Pinguinen im Süden. Zu den schönsten Reisen, die ich gemacht habe, gehörte das YFU-Camp in Bariloche, ein Ort mit einer Seenlandschaft an der Grenze der Anden, wo wir an einem Abend alle unter dem klaren Sternenhimmel am See zusammen saßen, sangen und uns Geschichten erzählten. Wir hatten viele Aktivitäten und obwohl wir aus so unterschiedlichen Ländern kommen, haben wir alle in der gleichen Sprache kommuniziert, gelacht und unsere Erfahrungen geteilt. Die letzte große Reise war wohl der Höhepunkt meines Austauschjahres, denn es ging zu den „cataratas“, diese unbeschreiblichen Wasserfälle in Misiones, an der Grenze zu Brasilien, welche zu einem der sieben Weltwunder gehören.
Jetzt habe ich noch gute sechs Wochen, bis ich wieder zurück nach Deutschland muss, wo ich keinen Tango tanzen werde, keine Siesta schlafen kann und mich wieder an meine Kultur zurückgewöhnen muss. Ich werde meine Freunde vermissen, seien es die argentinischen oder andere Austauschschüler und natürlich meine zweite Familie, die ich so lieb gewonnen habe. Neben der Sprache gibt es so viele Sachen, die man für das ganze Leben lernt und man kommt nie wieder so zurück, wie man hingegangen ist, da eine solche Erfahrung die Persönlichkeit prägt. Darum wünsche ich jedem, dass er einen interkulturellen Austausch mit vielen inspirierenden Momenten wahrnehmen kann.