Hinter den Kulissen | GaliGrüadGs | Interview
GaliGrüadGs im Dezember
Ein Interview mit Kyle Boyd
Dezember 2023
Steckbrief
Austauscherfahrung: 77/78 mit YFU in Deutschland
… hat schon bei YFU gemacht:
→ 3-facher Gastvater
Lieblingslila: Milka-Lila
Hallo Kyle!
Danke, dass du dir heute die Zeit für ein Interview nimmst. Du kommst ja eigentlich aus den USA und hast 1977/1978 mit YFU dein Austauschjahr in Deutschland gemacht. Erzähl doch mal, wie kam es dazu, dass du danach wieder in Deutschland gelandet bist?
Es gab viele Gründe, warum ich zurück nach Deutschland kommen wollte. Einer davon war meine damalige Freundin, die ich gleich zu Beginn meines Austausches in Hamburg bei einem Sprachkurs kennengelernt habe. Sie war eine von mehreren deutschen Austauschschüler*innen aus Poppenbüttel, die in die USA gehen wollten und mit denen wir viel unternommen haben.
Meine Ex-Freundin ging für ihren Austausch nach Texas, wo meine Mutter zufälligerweise gerade erst hingezogen war. Ich blieb in Deutschland. Wir haben uns viele Briefe geschrieben und uns zum Ende des Jahres in Texas getroffen. Danach habe ich sie und meine Freund*innen in meinem Austauschort Bad Berleburg in NRW fast jeden Sommer besucht. Die Abifeier meines Jahrgangs wollte ich nicht verpassen.
Obwohl ich mich nach Deutschland sehnte, entschied ich mich zunächst dafür, in den USA zu bleiben und ein technisches Studium zu beginnen. Allerdings brach ich dieses schnell ab, um schließlich 1981 zu meiner Freundin nach Hamburg auszuwandern und Germanistik zu studieren.
Seit August 1981 arbeitest du in der Geschäftsstelle. Was genau machst du eigentlich bei YFU?
Formal gesehen, arbeite ich erst seit 1982 in der Geschäftsstelle. Davor war ich ein Jahr lang als Ehrenamtlicher im Hamburger Büro tätig. Meine technische Neigung konnte ich als Spezialist für die Geräte und die ersten Computer ausleben.
Im Laufe der 90er bin ich ins Aufnahmeprogramm gewechselt und habe mit Knut Möller zusammengearbeitet. Ein blödes Missverständnis hat mich ins Entsendeprogramm gebracht. Ich wollte mich bei YFU weiterentwickeln, was der damalige Geschäftsführer leider völlig falsch aufgefasst hat. Er dachte, ich würde kündigen. Als ich nach meinem Urlaub zurück an meinen Arbeitsplatz kam, waren alle sehr überrascht. Zum Glück wurde eine neue Stelle im Entsendeprogramm frei, die ich besetzen durfte.
Seitdem arbeite ich im pädagogischen Bereich. Ich coache in Betreuungsfällen, erledige die Koordinationen mit unseren US-Partnern und leite das Beschwerdemanagement.
Ich habe mal nachgerechnet: Seit über 40 Jahren bist du nun bei YFU Deutschland und hast damit ein gutes Stück Vereinsgeschichte mitbekommen. Hast du eine Lieblingsanekdote aus deiner bisherigen Zeit?
Da gibt es viele. Hängengeblieben ist die Serienbrief-Misere. Ganz Oldschool ratterte eine Schreibmaschine tagelang Briefe an deutsche Schulen herunter. Ostern fing das Ding Feuer. Glücklicherweise konnte ich sie wieder instand setzen und damit die Anschreiben retten. Darauf haben ein Ehrenamtlicher und ich angestoßen – ein fataler Fehler. Fröhlich sprudelnd ergoss sich der Inhalt der Sektflasche über die Briefe, und wir konnten von vorne beginnen.
Nachdem wir über die Vergangenheit gesprochen haben, geht es jetzt um die Zukunft: Was wünscht du dir für die Zukunft des Vereins?
Ich wünsche mir für die Zukunft mehr Boden unter den Füßen, mehr Stabilität. Für die Ehrenamtlichkeit hoffe ich, dass wir zurück zu unserer starken Basis finden und wieder mehr Menschen für unsere Vision begeistern können.
Die Hyperkommerzialisierung des Austausches ist mir ein Dorn im Auge, von der ich mir wünsche, weniger abhängig zu sein. Unsere Programme sollen ein Bildungsangebot und ein Ort für die persönliche Entwicklung sein, nicht nur ein Pflichtjahr oder Touri-Angebot. Es ist wichtig, unsere Wahrnehmung von außen diesbezüglich zu schärfen.
Du bist aber nicht nur hauptamtlich bei YFU, sondern warst sogar schon dreimal Gastvater! Ich habe mich gefragt, welchen Einfluss deine Biografie darauf haben könnte. Hat es das für dich einfacher gemacht, Gastvater zu sein?
Ja, auf jeden Fall hat meine Biografie einen großen Einfluss auf mich als Gastvater gehabt. Ich habe versucht, die Situation so anzugehen, wie ich es mir von den Programmteilnehmenden wünsche: erwartungslos. Mir war es von Anfang an wichtig, möglichst klare familiäre Spielregeln zu kommunizieren. Das hat ganz gut funktioniert. Schwierig war es, die Erwartungen der eigenen Familie zu klären, vor allem die meiner Frau. Letztendlich war es für uns alle eine sehr bereichernde Erfahrung.
Lass uns nochmal zurückkommen zu deiner hauptamtlichen Arbeit bei YFU. Die Geschäftsstelle ist ein Ort voller versteckter Schätze. Hast du ein Lieblingsfeature in der Geschäftsstelle?
Die kleinen Plastikmännchen im Treppenhaus mit Ferngläsern mag ich sehr. Sie sind echte Sammlerstücke und erinnern mich an vergangene Tage. Symbolisch schauen sie hinaus in die Welt. Das passt zu YFU.
Was hält dein Licht am Brennen?
Die Gewissheit, dass unsere Arbeit zur Friedensmission und Demokratieerziehung wertvoll ist. Unsere Demokratie wurde viel zu lange für selbstverständlich erachtet. Jetzt ist sie gefährdet. Unsere Arbeit ist eine Form des Widerstands gegen die trübe Dimension der Welt. Licht kann man nur im Verhältnis zum Trüben sehen – auch wenn es nicht immer leicht ist.
Ein wundervoller Abschluss, lieber Kyle! Vielen Dank für das Interview.