Bleibt alles anders
Erfahrungsbericht von Claudia, Mutter von Mathis
Herzlichen Glückwunsch zum 60-jährigen Jubiläum, YFU! Ein paar Tage nach dem großen Jubiläumsfest kommt mein ältester Sohn aus seinem Jahr mit YFU zurück aus Michigan in den USA. Ich bin so gespannt, was er erlebt hat. Viel haben wir bisher noch nicht von ihm gehört, ein gutes Zeichen.
Ein Jahr liegt dann hinter ihm - in einer Familie, die ganz schnell seine war. Mom war Mom, spätestens als er sich nach zwei Wochen dort die Nase gebrochen hatte. Dort hat er vier ältere Geschwister, hier ist er der Älteste von vieren. Er wird größer wieder kommen - nicht nur körperlich. Das wenige, was wir gehört haben, war Glück über die Möglichkeit, vollständig in die andere Kultur einzutauchen, mit echter Familie und echten Freunden. So hab ich es ihm gewünscht, ohne selbst etwas daran machen zu können. Das ist eine Herausforderung als Mutter, die viele Jahre versucht hat ihr Kind glücklich zu machen. Loslassen, andere machen lassen, ihn selbst machen lassen. Wenn er in den nächsten Tagen wieder kommt, freuen wir alle uns hier, ich freue mich auf ihn. Und gleichzeitig fürchte ich auch seine Rückkehr. Nichts wird mehr so sein wie vorher.
Als YFU vierzig Jahre alt wurde, flog ich im Sommer 1987 in mein Jahr mit YFU in die USA, nach Kalifornien. Es war mein Traum, eigentlich unereichbar für eine 16-jährige Tochter einer alleinerziehenden Krankenschwester „nur“ mit dem Realschulabschluss in der Tasche. Wenn ich nicht in einer Ecke des schwarzen Bretts meiner Schule das Faltblatt zum damals noch recht neuen Parlamentarischen Patenschaftsprogramm gefunden hätte, wäre mein Leben ein anderes geworden. Meine Mutter bestärkte mich, auch wenn sie wahrscheinlich viel mehr als ich damals schon ahnte, wie sehr ich sie eigentlich alleine ließ. Ich verließ sie, als ich weg flog und verließ sie wieder als ich wieder kam. Meine Welt - oder die von der ich dachte, sie wäre für mich vorgesehen - war mir in Kalifornien zu klein geworden. Ich war dort eine andere geworden. Potentiale, die hier vielleicht nie geweckt worden wären, ließen nun Begehrlichkeiten erwachsen. Wieder zurück, machte ich zwar noch die geplanten Ausbildung, dann aber auch mein Fachabitur und ein Studium.
Mit der Reise in die Welt, wird die eigene größer, auch heute noch, da bin ich mir sicher. Damals bin ich das erste mal mit einem Flugzeug geflogen, als ich in Frankfurt ein- und San Francisco ausstieg. Für meinen Sohn ist fliegen eine zwar nicht alltägliche, aber keine unbekannte Fortbewegungsart - weniger aufgeregt als ich, war er glaube ich dennoch nicht. Ich bin damals in eine Familie mit sowohl deutschen als auch mexikanischen Wurzeln gekommen und konnte dort ebenso vollständig eintauchen wie mein Sohn heute in seine Familie. Er, wie ich auch, trafen Menschen aus komplett anderen Lebenszusammenhängen, vor allem trafen wir Freunde. Ich habe mir gewünscht, dass mein Sohn seine Entscheidung, ob und wo er ein Auslandsjahr verbringen will, unabhängig von meiner trifft. Und doch habe ich mit gefreut, als er beschloss, ein Jahr die USA zu gehen. Ich glaube, um zu verstehen, was auf der Welt geschieht, ist es nicht unwichtig zu erleben, wie Amerikaner ticken. Mir hat es geholfen und ist Teil meiner politischen Sensibilisierung. Der Glaube an Demokratie, Frieden und Völkerverständigung ist heute wichtiger denn je, dies- und jenseits des Atlantiks. Wir alle sind aufgefordert daran festzuhalten. Festhalten und loslassen sind die zentralen Punkte meines Austauschjahres gewesen und auch die meines Sohnes. Er wird wieder kommen und ein anderer Mensch sein - und auch doch nicht. Danke, YFU!